Der Pulsschlag Afrikas im finnischen Wald

Zu seinem 60. Geburtstags beschenkte sich der unermüdliche Jimi Tenor selbst und nahm mit seiner seit Jahren eingespielten Band eine vitale Jazz-Platte mit Afrobeat-Einschlag auf.

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5. Dezember 2025

Jimi Tenor Band: Selenites, Selenites! (bureau b)

Was für eine Platte!

Musik für Leute, die Jazz zwar nicht nicht mögen, ihm aber wegen der in seiner Anhängerschaft verbreiteten dogmatischen Strenge instinktiv skeptisch gegenüberstehen.
Musik für Leute, die sich Jazz als vitale, unbändige, wilde Musik vorstellen und in dieser Erwartung oft und oft enttäuscht worden sind.

Was für eine Platte, die sich Jimi Tenor da selbst zum Geschenk gemacht hat!

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Zu seinem 60. Geburtstag ist der finnische Sänger, Komponist und Multiinstrumentalist, dessen hauptsächliche Agenden Tasteninstrumente, Saxophon und Flöte sind, mit seiner zu Pandemiezeiten formierten, seit Langem liveerprobten Band in ein Studio in einem der unermesslich weiten finnischen Wälder gegangen, um zwischen Gängen von Elchfleisch und Eierschwammerln feurige Musik im Spannungsfeld zwischen Jazz, Elektronik, Rock und afrikanischer Rhythmik aufzunehmen.
Bei Tobias Levin im Electric Avenue Studio in Hamburg wurde das Ganze dann finalisiert.

Von Lounge- zu Afro-Jazz

Jazz war immer ein Thema in der Musik des als Lassi Lehto in Lahti geborenen Musikers, der es in seiner seit den späten 1980er-Jahren währenden Karriere locker auf eine zweistellige Anzahl an Kollaborationen mit anderen Künstlern bringt – Tony Allen, dem UMO Helsinki Jazz Orchestra, Nicole Willis, Kabu Kabu, um nur ein paar zu nennen.
Doch war es dessen entspannte, als Lounge-Jazz bekannte Spielart, mit der er in den 90er-Jahren in gewitzten Fusionen mit House, Techno und Easy Listening für Furore sorgte.

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Ziemlich antagonistisch zu „normalen“ Karriereverläufen aber hat Jimi Tenor, dessen Moniker vornämlich von seiner (angeblichen) Ähnlichkeit mit Kinderstar Jimmie Osmond abgeleitet ist und sich im Übrigen auf seine Stimmlage bezieht, sich über die Jahre verstärkt weniger eskapistischen Spielarten des Jazz zugewandt.

Seit Langem schon zeigt Tenor ein prononciertes Faible für afrikanische Musik, insbesondere Afrobeat – eine Melange aus Jazz, Funk und afrikanischen Tanzmusiken. Durchaus experimentelle Projekte mit der westafrikanischen Formation Kabu Kabu* legen, dokumentiert auf LPs wie „The Mystery Of Aether“, eindrucksvoll Zeugnis vom gegenseitigen Austausch ab.

Jimi Tenor Band (© Wustmann)

Die Band, mit der er sein neues Album „Selenites, Selenites!“ eingespielt hat, besteht aus Landsleuten (Eeti Nieminen, Heikki Tuhkanen, Lauri Kallio) und dem ghanaesischen Drummer Ekow Alabi Savage – einem der anerkannt besten seines Fachs und seit einigen Jahren Mitglied besagter Kabu Kabu.
In einem der acht Songs, „Shine All Night“, gastiert Florence Adooni, vielfach als „Queen of Ghanaian Frafra Gospel**“ gepriesen.

Was dieses Ensemble geschaffen hat, ist eine vielseitige, an- und aufregende Tour de Force durch Jazz, Soul, die dauerpräsente Polyrhythmik, quirlige Elektronik und viel positive „Botschaft“, der in dieser musikalischen Umsetzung nichts Fadenscheiniges oder gar Peinliches anhaftet.
Der Titel Selenites, Selenites!“ *** verspricht ja schon verbatim und interpunktionsverstärkt (Rufzeichen!), Negatives fernzuhalten. Und die Songtitel tun das Ihre dazu: „Selenites“, „Some Kind Of Good Thing“, „Sunny Song“, „Universal Harmony“, „Looking For The Sunshine“, „Shine All Night“.

Es gibt Stücke, die solchen philanthropischen Überschwang musikalisch bruchlos spiegeln wie der instrumental von einer aufgeweckten Flöte geprägte, von Südsee-Flair durchdrungene, melodisch-beschwingte „Sunny Song“ mit seiner nachgerade programmatischen Textzeile „Riddles replaced by clear skies“.

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Andere Songs wie „Alice in Kumasi“, das mit einer Gitarre zunächst Richtung Rock auszuscheren scheint und dann die Blasinstrumente in intensiven Dialog treten lässt, gehen vertracktere Wege.

Aufgekratzte, animiert interagierende Bläser prägen dann die ganze zweite Hälfte der Platte: Im tollen, von Florence Adooni stimmlich bereicherten „Shine All Night“ auf der Basis hämmernder Drums und interpunktiert von Elektronik-Flirren, im abschließenden „Furry Dice“ in unterschiedlichen, virtuos ineinander verwobenen Tempi und Dynamiken vom entspannten Groove bis zum frenetischen Geknatter.

Eine Platte des Jahres, die man nicht erwartet hätte. Eine echte Geburtstagsüberraschung.

* Verschiedentlich auch Kabukabu geschrieben
** Eine auf spirituellen Ursprüngen beruhende Musik aus dem Norden Ghanas.
*** Selenit, auch Marienglas genannt, ist stofflich eine durchsichtige Varietät des Minerals Gips und wegen seiner ansehnlichen Optik wie auch wegen seiner angeblich entspannenden Eigenschaften beliebt.

Jimi Tenor Band: Selenites, Selenites! (bureau b)

Jazz für Jazz-Spektiker: „Selenites, Selenites!“ ist ein Album, das Spiel- und Lebensfreude ausstrahlt.