Grill-Engerl in Münzklosett
Eine Art Wiener Supernova: Die Kooperation der Strottern mit der JazzwerkstattWien – und ihr fulminantes neues Album „Sieben Zwetschken“.

Hochproduktive Werkstatt: Die Strottern und ihre Jazz-Kollegen. (c) Victoria Nazarova
Es ist ja erstaunlich, wie viel Stimmungen, Klangfarben und Assoziationen die beiden Strottern Klemens Lendl (Gesang, Violine) und David Müller (Gitarre, Gesang) schon alleine zuwege und vor allem auf die Bühne bringen. Ein Potpourri aus Wiener Ingredienzien wird von dem kongenialen Duo seit rund 30 Jahren kreativ durchmischt, mit kaustischem Witz angereichert und in multilingualen Stilen dargeboten.
Im Zusammenspiel mit der JazzWerkstatt Wien (2004 gegründet) wird dem kleinen Ganzen freilich noch ein großes Stück zusätzlicher Möglichkeiten und Dimensionen hinzugefügt – und herauskommt, als Art Wiener Supernova, ein musikalischer Kosmos in nahezu unendlich scheinender klanglicher Ausdehnung.
Nach zwei formatfüllenden Kooperationen – „Elegant“ (2009) und „Wo fangts an“ (2015) – gibt es nun mit „Sieben Zwetschken“ den dritten Streich. Und apropos Aufzählungen: Darum geht es im Titellied gleich in mehrfacher Hinsicht, von Klemens Lendl pointiert zusammengereimt und in einem – ebenfalls um keine Schlusspointe verlegenen – Refrain gipfelnd: „was ma san des woa ma imma / rennan fia a bessre wöd / kuchl, kabinett und zimmer / nua a gressres heisl föd“.
Die Texte zu den insgesamt zehn Nummern des neuen Albums stammen neben Lendl von bewährten Beiträgern wie Karl Stirner oder Christian Tesak. Neben einem Rückgriff auf den nicht nur in Strotter’schen Zusammenhängen immer brauchbaren Nestroy („Wenn ka Teufel nicht wär“, einem Couplet aus „Höllenangst“, mit der neuerdings wieder hochaktuellen Kernbotschaft „Ich lass mir meinen Aberglaubn / Durch ka Aufklärung rauben“) kommen diesmal & erstmals auch die Schriftstellerin Teresa Präauer (mit der Liebesode „Dahlien und ein Gedicht“ an den Wiener Stadtpark und die Dichterin Elfriede Gerstl) und – gleich zweifach – der Autor und (Pop-)Musiker Lukas Meschik zu Lyrics-Ehren.

Die Strottern & JazzWerkstatt Wien: Sieben Zwetschken (JazzWerkstatt Records)
Starkes Finale mit Lylit & Wenger
Das von Meschik verfasste Lied „Hüfts nix, schodts nix“, die vorletzte Nummer, entfaltet sich in 5:20 Minuten entlang pragmatischer Allerweltsratschläge mit Wiener Lakonik und dank der Komposition von Lukas König, dem Schlagzeuger der JazzwerkstattWien, zu einem fulminanten Crescendo, in das sich am Ende – zu saftigen Bläsersätzen – auch noch die Stimme von Eva Klampfer alias Lylit mischt.
Ein absoluter Höhepunkt, dem mit der Schlussnummer „Glückskekslied“ noch ein weiteres, ruhigeres & sanftmütigeres Highlight folgt: In einer Gänsehaut evozierenden Vielstimmigkeit orchestriert (von Pianist Clemens Wenger, u.a. auch von den 5/8erln in Ehr’n bekannt), werden hierbei Situationen von Karl Stirner in einem Idiom vertextet, das – mit einer Obertonreihe Urwienerischer Atmosphären & Ausdrücke spielend – so wirklich nur in dieser Stadt existieren kann (und verstehbar ist): „a hoibad ohkiefltes grill-engerl / in an münzklosett am arthaberplatz / dei letzte ausred schmeckt genauso …“.

Schräges Vergnügen: Das Zusammenspielen (und vielleicht auch nur -Stehen) von Strottern & JazzwerkstattWien. (c) Victoria Nazarova
Lauter Kapazunder & Weltmeister
Wenn wir schon mit einem Erstaunen begonnen haben, so schließen wir auch mit einem solchen: Denn dieses so immens reichhaltige, vielfältige, als Hörer auch bei mehrmaligen Durchgängen kaum ausdeutbare Album wurde in nur drei Tagen (im März 2024) komplett eingespielt. Das zeigt, welch fast blindes Verständnis und gegenseitiges Vertrauen zwischen diesen insgesamt neun Musikern herrscht, also den zwei Strottern und den sieben JazzWerkstättlern, die sich übrigens – auch das sei noch erwähnt – zur Wiener Werkstätte (als originärem Bandnamen) vereinigt haben.
Klemens Lendl hat in einem Interview mit der APA auch seiner eigenen Verwunderung über diese reibungslose Zusammenarbeit Ausdruck verliehen: „Das sind alles Kapazunder, das sind lauter Weltmeister, und trotzdem wird so uneitel gearbeitet“. Und weiter: „Der Clemens Salesny (Saxophonist & Klarinettist, Anm.) kann auch drei Stunden am Stück durchsolieren und du schaust nur mit offenem Mund zu. Er spielt dann aber die Bläsersets, die es braucht und nicht mehr. Du musst niemanden einfangen und keine Egos betreuen.“
Bis dieser virtuose kollektive Gleich- & Vielklang – als Beleg für Lendls Aussage – live erklingt (und uns dann die Münder offen bleiben), dauert es noch ein wenig: Die „Sieben Zwetschken“ werden am 7. September in Zwettl (bei Kultur: Impuls: Zwettl) und am 23. September im Jazzclub Porgy & Bess in Wien konzertant aufgeführt.

Hochproduktive Werkstatt: Die Strottern und ihre Jazz-Kollegen. (c) Victoria Nazarova
Im Zusammenspiel mit der JazzWerkstatt Wien wird dem kleinen Ganzen der Strottern noch ein großes Stück zusätzlicher Möglichkeiten und Dimensionen hinzugefügt.