Mit (fast) 68 sexy wie noch nie
Mit großteils fiktiven, anregenden Texten und kleineren und größeren musikalischen Experimenten überrascht Robert Forster, ehemaliger Sänger und Autor der Go-Betweens, auf seinem achten Solo-Album „Strawberries“.

Robert Forster: Strawberries (Tapete Records)
Seit dem Ende der Go-Betweens durch den frühen Tod seines kongenialen Partners Grant McLennan agiert Robert Forster als Sänger und Songwriter auf sehr solidem Terrain: Er pflegt das Erbe und den Ruf der „besten Band der Welt“, als die die Go-Betweens von Fans lustvoll verklärt worden sind, sowohl publizistisch (als Biograph) wie auch als denkbar kompetenter Nachlassverwalter und scheibt unermüdlich neue Alben heraus. Alle sind sie von erlesener Qualität, aber auch frei von größeren Überraschungen oder gar Irritationen. Das heißt, als Aufreger taugt Robert Forster schon lange nicht mehr.
Großer Ruf, kleine Verkaufszahlen: Die Go-Betweens, hier bei einem Auftritt bei Jools Holland im Jahr 2000
Unversehrt von Gedanken an „zeitgemäße Relevanz“ und ähnlich eitlen Vergänglichkeiten exzelliert der bald 68-Jährige ein ums andere Mal in der Kreation substanzieller Songs, die sich auf Gitarren-Basis im Kraftfeld zwischen Pop, Rock und Folk bewegen und sich thematisch wie eine Chronik seines Werdegangs ausnehmen: Der Herkunft, der musikalischen Sozialisation durch die großen „Brüder“ Lou (Reed), David (Bowie) und Tom (Verlaine), der karrieristischen Gehversuche; seiner Lebensstationen in England, Deutschland und jetzt wieder im heimatlichen Brisbane, dem Eheleben mit seiner bayerischen Frau Karin Bäumler, die vor einigen Jahren an Krebs erkrankt und allem Anschein nach genesen ist.
Wer hat alle Erdbeeren verdrückt?
Dafür spricht nicht zuletzt, dass Bäumler mit Forster im Titelsong von dessen neuem Album „Strawberries“ ein hübsches, gut gelauntes Gesangs-Duett austrägt. Zu einem gleichermaßen gemütlichen wie leichtgängigen Blues-Swing werden nicht nur gegenseitige Verdächtigungen, die köstlichen Erdbeeren auf einen Satz verschlungen zu haben, ausgetauscht, sondern wird auch auf schwere Zeiten in der jüngsten Vergangenheit Bezug genommen: „It took time to recover back from the edge of the knife / there were many ways to discover the road back out of the night“.
Dieses tief private, mit Witz und verträglichen Dosen Lebensweisheit erzählte Szenario fügt sich einerseits in die lange Tradition autobiographischer Forster-Texte und ist allerdings genau damit denkbar unrepräsentativ für die Richtung, die sein achtes (reguläres) Solo-Album einschlägt. „Strawberries“ schert nämlich einigermaßen drastisch aus Forsters Werk-Kanon aus.
Außer im Titelsong und vielleicht noch in „Such A Shame“, in dem ein junger Musiker seine Erschöpfung durch eine lange Tour beklagt und das von Erinnerungen an die Frühzeit der Go-Betweens angeregt sein könnte – vielleicht aber auch von seinem Sohn Louis, der selbst Musiker ist, besagtes Stück um eine schöne Gitarre bereichert und seinen Vater auch bei dessen letzten Wien-Auftritt im April 2023 im Theater Akzent begleitet hat -, hält sich Forster als Person aus den Inhalten raus.
Ein „Fuck!“ im Liebesspiel
Wenn ein „Ich“ erzählt, so meist als Stimme einer Rolle. Möglich, dass sich Forster, der in Kürze seinen ersten Roman veröffentlichen wird, neuerdings mehr zu fiktivem Schreiben hingezogen fühlt – jedenfalls sind einige Szenarien ziemlich toll. In „Foolish I Know“ fühlt er sich mit bemerkenswerter Sensibilität in einen Homosexuellen ein, der einen bestimmten Mann begehrt, genau um die Unerfüllbarkeit dieses Begehrens weiß und sarkastisch feststellt, dass ihn dieses Wissen auch nicht weiterbringt.

Robert Forster, nie um ein abgründiges Wortspiel verlegen (© Stephen Booth)
Eines der zentralen Stücke der LP ist ein 8 Minuten langer Song, der spannend wie eine Erzählung beschreibt, wie sich ein Mann und eine Frau in einer Bar in Edinburgh kennenlernen, die Nacht bzw. eher schon die frühen Morgenstunden in einem Hotel verbringen und es dort so heftig miteinander treiben, dass die Familie im Zimmer nebenan sich bei der Rezeption beschwert, als der Frau plötzlich ein heftiges „Fuck!“ entfährt. Nicht etwa den körperlichen Aktivitäten geschuldet, sondern der darob vergessenen Tatsache, dass ihr Zug in Kürze fährt.
In seiner getragen-melodiegesättigten Gangart reiht sich „Breakfast On The Train“, wie das Stück heißt, ebenso wie die erwähnten „Such A Shame“ und „Foolish I Know“ würdig in die Phalanx großer Forster-Balladen wie „Dive For Your Memory“ oder „The River People“ ein. Auch der flott und doch wohltemporiert rockende Opener „Tell It Back To Me“ entspricht Forsters vertrauter stilistischer Handschrift.
Einige Male aber – und einmal wirklich dramatisch – gestattet sich der Musiker Abweichungen von den Pfaden, die er bislang begangen hat. Da ist etwa eine gewisse Sexiness in der Ausstrahlung. Zwar ist die nicht völlig neu bei Forster – sowas hatten unterschwellig schon Go-Betweens-Songs wie „Too Much Of One Thing“ oder die urzeitliche „Karen“.
Was aber noch nicht da war, ist der Nachdruck, mit dem Forster sie (selbst)bewusst forciert: „All Of the Time“ etwa, dessen assoziativ-ominöse Einstiegszeilen „There’s propaganda and there’s truth / and there’s a feeling that I get when I’m with you“ genau nirgendwo hinführen, potenziert einen sinnlichen, an T. Rex erinnernden Glam-Boogie-Groove mit affektiert-outriertem Gesang, wie ihn Forster wohl beim frühen Bryan Ferry – einem seiner großen Helden – abgeschaut hat und den er auch in „Good To Cry“ abruft.
Ganz wild, und zwar durchaus im wörtlichen Sinn, wird’s zum Abschluss in „Diamonds“. Nach getragenem Einstieg zu einem Riff, das stark an den Buffalo-Springfield-Hit „For What It’s Worth“ erinnert, biegt der Song über ein wildes Tenorsaxophon auf fast freejazziges Terrain ab und Forster entledigt sich gesanglich seiner charakteristischen Contenance, schreit und kippt in ein grenzhysterisches Falsett.
Aufgenommen in Stockholm mit örtlichen Musiker/innen
„Strawberries“ wurde in Stockholm aufgenommen. Die Grundidee, schreibt Forster in den Linernotes, sei gewesen, „mit einer Ladung Songs in einer Stadt anzukommen, mit örtlichen Musikern und Musikerinnen ein paar Wochen lang zu proben, aufzunehmen, abzumischen und dann mit einer fertigen Platte wieder abzufahren.“

Robert Forster verbrachte etliche Jahre in der bayerischen Heimat seiner Frau Karin Bäumler (© Stephen Booth )
Allerdings kannte Forster den Produzenten Peter Morén, der auch Gitarre spielt, und den Rest der Kern-Gruppe (Jonas Thorell am Bass und Magnus Olsson am Schlagzeug), die durch Lina Langendorf an diversen Holzblasinstrumenten und Anna Åhman an den Tasten erweitert ist, schon von einer früheren Tournee.
Es war diese den Spontaneitäts-Faktor hervorkehrende Kooperation also nicht der Sprung ins ganz kalte Wasser. Erfrischend genug, um ein bewährtes Konzept mit einem Kreativitätsschub zu beflügeln, war sie allemal.
Am 2. Oktober tritt Robert Forster mit Band neuerlich live im Wiener Theater Akzent auf.

Robert Forster: Strawberries (Tapete Records)
In der einen oder anderen Form klingt auf „Strawberries" öfter eine Affinität zu Glam-Rock durch.