Viel Spaß mit schweren Problemen

Sehr ernste Themen präsentieren die Low Life Rich Kids auf ihrem phänomenalen LP-Debüt „Lieblingslieder“ auf verblüffend leichthändige Weise.

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5. Juni 2025

Low Life Rich Kids: Lieblingslieder (Las Vegas Records)

Bei der letzten Ausgabe der verdienstvollen Talk- & Diskussions-Reihe „Das Pop-Quartett – Reden über Musik“ im Belvedere 21 wurde eine interessante Differenzierung von Zugängen zu Pop-Musik offenbar: Am Beispiel des stark von Bruce Springsteen beeinflussten britischen Rockers Sam Fender erklärte Thomas Mießgang, renommierter Journalist, Musiker, Autor, Kurator und-was-nicht-noch-alles, so abgestandene, uninteressante Musik komme gar nicht erst an ihn heran, da könnten die Texte noch so bedeutungsschwer (sozialkritisch, working-class-affin) sein, wie es bei Fender der Fall ist.

Bei den Low Life Rich Kids, deren kürzlich erschienener LP-Erstling „Lieblingslieder“ ebenfalls zur Debatte stand, war das anders: Wenn ihr raffinierter, proppenvoll mit Zitaten und Versatzstücken aus verschiedenen Epochen der Pop-Geschichte angereicherter Power-Pop auch keine unmittelbar innovatorischen Ansprüche anmelden kann, so weckten, sagte Mießgang sinngemäß, jedenfalls die Verve und Frische der musikalischen Herangehensweise sein Interesse.

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Kein Zweifel, die Low Life Rich Kids sind sowas wie die hiesige Indie-Band der Stunde. Übrigens bedeutet das karrieristisch nicht übertrieben viel: Ein paar Hits in den FM4-Charts und etwas Airplay auf ebendiesem Sender. Verdünnt sich das, verlieren sich auch Teile des Publikums rasch wieder.
Nicht einmal zum Wiener Pop-Fest sind die Low Life Rich Kids eingeladen worden.

Die Schauspielerinnen sind versierte Musikerinnen

Die Low Life Rich Kids sind keine Anfänger. Im österreichischen Maßstab könnte man sie sogar als „Supergroup“ bezeichnen, weil alle drei Akteure* schon einen Namen haben. Der Twist dabei: Obwohl sie alle durchaus profilierte Musiker* sind, sind zwei von ihnen aus anderen Sparten besser bekannt.
Mara Romei (23) und Coco Brell (24), die den agitierten, verletzlichen wie kritischen, ohnmächtigen wie selbstbewussten, traurigen wie frechen Inhalten aufgekratzte, hin und wieder nachdenkliche, beizeiten rollenverständig affektierte Stimmen geben, sind Schauspielstudentinnen am Reinhardt Seminar.

Coco Brell, Mara Romei, Bernhard Eder (© Nico Hafner)

Dort arbeitet auch der hochgeschätzte Singer-Songwriter Bernhard Eder als Theatermusiker – und dort kamen die drei bei einer Inszenierung von Lucien Haugs Stück „Über Nacht“ zusammen.

Sowohl Brell wie auch Romei, die durch die ORF-Serie „Biester“ bereits landesweit bekannt ist, verfügen über eine fundierte musikalische Ausbildung und beherrschen mehrere Instrumente. Romei hat auch eine eigene Soundcloud-Seite, die sie als gefühlvolle Sängerin und fähige Songwriterin (siehe etwa „Lasst es doch sein“) ausweist.

Die Low Life Rich Kids sind also ein durchaus homogener Organismus und nicht einfach, wie es manchem scheinen mag, ein Profi-Musiker-mit-Schauspielerinnen-Crossover-Projekt. Dennoch war zunächst nicht an eine längerfristige Kooperation gedacht, nachdem man einen Text Haugs zu einem Song mit dem Titel „Angst“ verarbeitet und 2024 als Single veröffentlicht hatte.

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Dann wurde der Song überraschend ein FM-4-Hit und generierte Nachfrage nach weiteren Stücken. Im Herbst 2024 erschien die EP „LLRK“, auf der schon die Hälfte der „Lieblingslieder“ enthalten ist.

Stringent wie auch abwechslungsreich

Nun liegt also also die abendfüllende Edition in 34 Minuten Länge vor – gleichermaßen stringent verklammert wie abwechslungsreich in Szene gesetzt.
Zügig bahnen sich geradlinige, von Gitarren getriebene, sporadisch durch kleine Breaks variierte Rhythmusstrukturen ihre Wege durch schöne Melodielinien, kennen aber auch gewisse gemäßigte Tempo-Zonen, um die Synthies ein wenig schwirren zu lassen. Orgel und Trompete gewähren Momente des Innehaltens, während Harmoniegesänge mit sentimentaler Anmutung trügerisches Urlaubsfeeling verströmen.

Bernhard Eder, der praktisch alle Instrumente (außer Drums) spielt und notabene bei mehrstimmigen Gesangs-Einsätzen mit seinem hohen Organ nicht leicht von den Frauen zu unterscheiden ist, hat Texte und Musik kreiert; in Einzelfällen assistiert von Brell und/oder Romei. Zwei Texte kommen von Protagonisten des Mediums, durch das man sich gefunden hat, also dem Theater: Klarerweise „Angst“ von Lucien Haug, und „Wasserstoff brennt!“ von Elfriede Jelinek.

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Allein diese Quellen indizieren, dass man sich mit „schwierigen“ Dingen beladen hat. Der Rest der LP bleibt denn auch nichts schuldig: Umweltverschmutzung, Klimakrise, die Brut des Rechtsextremismus, Selbstoptimierung und persönliche Blockaden aller Art kommen da etwa zur Sprache.

Paraphrasen von Reinhard Mey bis NDW

Indessen verströmt die Platte keine Sekunde lang „Kunstismus“, also den aufdringlichen Vorsatz, als Kunst wahrgenommen zu werden. Vielmehr machen die „Lieblingslieder“ ungemein Spaß, spenden Energie, animieren zum Tanzen.
NNNDW“ (= Neue Neue Neue Deutsche Welle) formuliert unendlich charmant den Widerwillen gegen Schubladisierungen, wie sie „Kenner“ von eigenen Gnaden schnell zur Hand haben („Hey, du hast doch diese neue Band? Voll 80s-Style! / Dieses ganzen Neue-Deutsch-Welle-Zeug, geil!“) und zitiert dabei auch noch leichthändig einige NDW-Schlager: „Ich bin kein Goldener Reiter unter´m Silbermond / Will keinen Spaß und keinen Major Tom / Ich will kein Da da da und kein Eisbär sein / Will kein Lieblingslied, auch nicht alleine sein / Ich will nicht irgendwie, irgendwo, irgendwann sein / Und schon gar nicht in einem Leuchtturm allein“.

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Eine weitere raffinierte Paraphrase populärmusikalischen deutschen Schaffens zielt auf einen Sänger ab, auf den schon Endless Wellness – als heimischer Indie-Hype des letzten Jahres quasi natürliche Vorgänger der LLRK – angespielt haben: Reinhard Mey.
Dessen Hadern „Über den Wolken“ verlegen die Low Life Rich Kids auf „Unter den Wolken“: „Unter den Wolken, steh ich als Punkt klitzeklein / 130.000 Flieger da oben, und ich hier allein / Der Platz am Himmel wird enger, doch soll das so sein? / Denn so grenzenlos kann ja diese Freiheit nicht sein!“

Höhepunkt der „Lieblingslieder“ ist – jedenfalls in inhaltlicher Hinsicht – „Anti-Woke-Generation“. In agitiertem Rap-Vortrag, der im Refrain einem fast schlagerartigen, von lauten Gitarren unterlegten Sing-Sang weicht – was irgendwie gut zum hier beschriebenen Typus Mensch passt -, wird wortgewandt, präzise, giftig ins Gericht gegangen mit der zukunftsvergessenen Mentalität reaktionärer Dumpfnüsse, die ihr (von rechtspopulistischen Rattenfängern verheißenes) „Recht“ auf Ignoranz, Dummheit, Rücksichtslosigkeit und Rückständigkeit einfordern.

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Ein Vorbild, wie gelungene Agitation aussehen kann. Dieser Text verdient, in Schulen, in Vorlesungen, bei Symposien vorgetragen zu werden.

*Weibliche Form immer mitgemeint

Low Life Rich Kids: Lieblingslieder (Las Vegas Records)

Die Low Life Rich Kids sind die heimische Indie-Band der Stunde. Karrieristisch bedeutet das nicht übertrieben viel, künstlerisch schon.