Aus dem Nachlass eines Extremisten

Vor seinem Tod im April 2023 hat Mark Stewart ein Album fertiggestellt, das jetzt erschienen ist und nach etwas irritierendem Einstieg noch einmal vorführt, wofür der ehemalige Sänger der epochalen Post-Punk-Band The Pop Group gestanden ist.

Von
22. Juli 2025

Mark Stewart: The Fateful Symmetry (Mute Records)

The Who. Can. Television. Just unter den Bands, die in ihrer Radikalität und Urgewalt rockgeschichtliche Maßstäbe gesetzt haben, firmierten einige unter besonders anonymen Namen. Nirgendwo allerdings trat dieser Antagonismus dermaßen krass oder – das ist hier wirklich das treffende Wort – schlagend zutage als bei jenem Quintett aus Bristol, das sich The Pop Group nannte.

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Ende der 70er Jahre aufgetaucht, hat es die damals in avancierten Kreisen tonangebende Post-Punk-Bewegung, die ja in etwa als ambitionierte, differenziertere, stilistisch vielseitigere Weiterentwicklung von Punk verstanden wurde, aus allen Verankerungen gerissen und in galaktische Sphären getrieben, wo sein Werk noch heute ziemlich einsam irrlichtert.
Wenn Post-Punk frischen Wind für Punk bedeutete, so bedeutete die Pop Group für Post-Punk einen Hurrikan von der Gewalt einer Katrina.

Aller Anfang war Dub

Dub, das auf verhallt-verschleppten Rhyhtmusmustern und Verfremdungen basierende Musikgenre aus Jamaika, war die Grundlage ihrer Musik, die sie mit einem bis dahin unvorstellbaren Extremismus mit allem kreuzten, was ihnen unter die Finger kam – Punk, Rock, Funk, Free Jazz, Noise – und mit prononciert linken Aussagen verbanden. Titel wie „We Are All Prostitutes“ oder „Thief Of Fire“ skizzieren die inhaltliche Richtung: Der Kapitalismus entleibt und entseelt das Individuum wie auch die ihm übergeordnete Gesellschaft. Oft genügten dafür Schlagworte: „Agression / Competition / Ambition / Consumer Fascism / Consumer Fascism“.

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Träger der Botschaft war eine Musik mit mörderisch-repetitivem rhythmischen Pulsschlag, auf Funk gebürsteten Gitarren, experimenteller Elektronik, wild-dissonanten Saxophon-Einlagen – und einem Sänger, der Worte und Töne unter Qualen und unvorstellbarer Anstrengung herauszupressen schien, als befände er sich permanent im Würgegriff böser Sub- oder Objekte (Folterknechten, der Weltordnung, dem Leibhaftigen).

Vielfältige Solo-Aktivitäten

Nach zwei epochalen LPs und der Auflösung der Pop Group 1981 verfolgte Mark Stewart, wie der Sänger hieß, eine arbeitsreiche Laufbahn mit Platten unter eigenem Namen mit The Maffia und Tackhead als Begleitformationen; er kooperierte mit Nine Inch Nails-Kopf Trent Reznor, Massive Attack, Tricky, Primal Scream u.a., gewährte den Goldenen Zitronen ein Gastspiel auf deren LP „Lenin“ und lieferte einen Beitrag zum Jeffrey Lee Pierce Sessions Project, in dem handverlesene Akteure den Nachlass des frühverstorbenen Gun Club-Frontmanns Jeffrey Lee Pierce (notabene auch ein bekennender Sozialist) bearbeiten.

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Stewarts Arbeiten unter eigener Flagge entfernen sich nicht dramatisch aus dem Dunstkreis der Pop Group, was ihn nie auch nur in die Nähe von Stagnationsgefahr oder gar Rückständigkeit brachte, da dieser Musik eine ständige Bereitschaft, stilistische Grenzen einzureißen und technologische Neuerungen aufzunehmen, wesensimmanent war.

Ein wenig verträglicher klang er nun (naturgemäß) hin und wieder, und, bedingt durch Wissensakkumulation und die Erfahrung der Jahre, etwas intellektueller und überlegener (nicht abgeklärter!).
Er vertrat nach wie vor engagiert seine nicht wirklich massentauglichen politischen Überzeugungen und reflektierte sie nicht nur als Musiker, sondern auch als Konzeptkünstler und Kurator.

In den Zehner-Jahren kam es zu einer wohlgefällig akzeptierten Reunion der Pop Group; Stewarts letztes Album zu Lebzeiten war 2022 „VS“, was für „versus“ steht, da es ausschließlich (technoide) Kooperationen mit wesensverwandten Künstlern wie Front 242, Mike Watt, Lee „Scratch“ Perry, Consolidated, Ye Gods u.v.a. enthält.

Allmächtiger, erhöre mein Flehen: Atheist Mark Stewart (© Chiara Meattelli & Dominic Lee)

Mark Stewart starb am 21.4. 2023 im Alter von 62 Jahren aus unbekannter Ursache – aber jedenfalls eines natürlichen Todes, wie aus seinem Umfeld eilig versichert wurde.

Knapp vor seinem Ableben hat er noch die LP „The Fateful Symmetry“ fertiggestellt. Ob er auch die Sequenzierung der Songs noch selbst vorgenommen hat, ist nicht bekannt.

Am Anfang ist Befremden

Jedenfalls reißt´s einen auf nüchternen Magen am Anfang schon ein bisserl. Der Opener „Memory Of You“ ist ein Torch-Song im Disco-Design, der vielleicht einem Tom Jones in der Regie eines namhaften „zeitgemäßen“ Produzenten zur Ehre gereichen würde – aber Mark Stewart?!?

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Zwar wird hier, wie der Waschzettel von Stewarts langjährigem Label Mute informiert, ein doppelter Boden eingezogen, weil das angeschmachtete „you“ gar kein Mensch ist, sondern das Phantom einer besseren Welt. Zudem ist das Stück auf seine Weise superb gesungen – Stewart klingt ein wenig wie Mike Patton bei dessen Interpretationen italienischer Pop-Songs auf dem Album „Mondo Cane“. Gewöhnungsbedürftig bleibt´s trotzdem.

Es kommt aber alsgleich noch heftiger: Mit „Na na na“-Geträller macht sich das nachfolgende „Neon Girl“ auf den Weg. Ja eh, der Titel fängt mit „n“ an, trotzdem. Und das Drama wiederholt sich: Wieder brilliert Stewart gesanglich in den Strophen, obendrein ziert sich der Song mit hübschen fernöstlichen Soundspitzen über rhythmischer Elektronik, aber das Refrain-Gsangl bleibt einfach eine nahezu unpackbare Herausforderung für die Nerven.

Der Rest ist ein mitreißender Fluss

In diesem Sinn beginnt „The Fateful Symmetry“, an das viele Wegbegleiter von früher – u.a. Ex-Pop-Group-Gitarrist und -Keyboarder Gareth Sager, Adrian Sherwood, Fritz Catlin, Andy ‚Spaceland‘ Jenks oder Stash Magnetic – als Co-Produzenten und -Autoren Hand angelegt haben, erst mit dem dritten Song richtig. „This Is The Rain“ ist als (im weitesten Sinn sogar spirituell) beseelte, langsame Klavierballade mit etwas Gitarrengeknurre im Hinter-/Untergrund ein Stück Musik, wie man es von Stewarts Solo-Platten durchaus kennt.
Als ausgreifenden Dub-Reggae zelebriert Stewart „Everybody´s Gotta Learn Sometimes“, den großen Hit seiner Bristoler Kollegen The Korgis von 1980.

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Der maßgebliche Rest des Albums ist ein mitreißender Fluss aus mal geradlinigerer, meist aber vertrackter Rhythmik, elektronischen Texturen, vereinzelten Noise-Attacken, kontemplativen Passagen und der in allen Registern, Höhen und Intensitätsstufen herumschwirrenden, leidenden, aber auch Hoffnung beschwörenden Stimme des Mark Stewart, der, wie die Kollegen vom „Musikexpress“ einmal mehr richtig feststellen, im Prinzip ein Soul-Sänger war und als solcher ein ums andere Mal sein Lebensthema aufgeworfen hat: Die Verfassung des Individuums in einer Welt, die durch Machtgier und Partikular-Interessen einiger Weniger zu dem unwirtlichen Ort geworden ist, an und mit dem es sein Auskommen finden muss.

Mark Stewart: The Fateful Symmetry (Mute Records)

Ein Sänger, der Worte und Töne unter Qualen und unvorstellbarer Anstrengung herauszupressen schien, als befände er sich permanent im Würgegriff böser Sub- oder Objekte.