Debütalbum mit 47
Der Liebe wegen sind Jörn Brien und Florian Knabenschuh aus Deutschland nach Wien gezogen. Hier formierten sie Parc de Triomphe und veröffentlichen nun eine formidable Vinyl-LP. Ein Gespräch.

Parc de Triopmhe: Parc de Triopmhe (Voller Sound)
Ein Jugendlicher steht in seinem leeren Zimmer. Unendlich deprimiert, wie nicht expressis verbis ausgesprochen, aber Takt für Takt spürbar ist: Er sieht seinen Freund und Mitbewohner mit allen seinen Habseligkeiten davonfahren – für immer.
In einem Akt von verzweifeltem Trotz reißt er das Fenster auf und dreht das Radio auf.
Das Radio? Westradio. Das zu hören ist verboten. „Halt´s in der Bude nicht mehr mehr aus / Ob sie mich holen kommen / Mir egal, der ganze Mief muss raus.“
Wie Pop/Rockmusik inspiriert Geschichtsunterricht erteilen kann, demonstrieren Parc de Triomphe. Mit ihrem unbetitelten Debütalbum lassen sie die DDR in trostlosen Bildern zu an- und aufregender Musik wiederauferstehen: Die Mauer, Wohngebietsparks, Plattenbauten, Orden (für ordnungsgemäßes Verhalten), Polizei, graue Herren. Einsamkeit. Angst.
Jörn Brien (Gesang, Texte) und Florian Knabenschuh (Gitarre) sind dazu berufen, denn sie haben die DDR in jungen Jahren noch live erlebt: Brien als Bewohner von Ostberlin; Knabenschuh im östlichen Niedersachsen als Anrainer in drei Kilometer Entfernung zum Grenzzaun.
Kennengelernt haben sie sich allerdings erst in Wien.
Der Liebe wegen sind sie aus Berlin (Brien) und Hamburg (Knabenschuh) hierher gekommen. „Als ich damals meinen Arbeitskollegen erzählte, dass ich nach Österreich ziehe, sagten die, ,da musst du aufpassen, die sind alle sehr fleißig und arbeiten extrem viel‘“, erinnert sich Knabenschuh. „Also genau das, was man immer von den Deutschen sagt. Letztlich habe ich es hier sehr ähnlich empfunden, wie ich es in Deutschland empfunden habe.“
Merkwürdig dünkte ihn allerdings, wie er an seiner Arbeitsstelle den Kollegen vorgestellt wurde und einer von diesen „Cordoba!“ brüllte. „Ich hatte keine Ahnung, was gemeint war.“
Zielstrebig
Parc de Triomphe haben Brien und Knabenschuh, die früher in diversen Indie-Rock-Bands gespielt hatten, ohne der Welt einen Hax´n auszureißen, 2021 gegründet. Kontinuierlich hat sich die Band einen Ruf aufgebaut, durch Singles auf sich aufmerksam gemacht und veröffentlicht nun auf Andreas Vollers Label Voller Sound auf Vinyl ihre unbetitelte erste LP.

Parc de Triomphe: Jörn Brien, Florian Knabenschuh (© Tom Pohnert)
Auch wenn Brien (als Journalist, Texter und Blogger) und Knabenschuh (als Digital Marketer & E-Commerce Allrounder) ihren Lebensunterhalt mit außermusikalischen Arbeiten bestreiten, verfolgen sie mit Parc de Triomphe einen stringenten Plan.
„Wir haben uns immer Ziele gesteckt“, erklärt Knabenschuh. „Wir haben einen ersten Song gemacht. Wir haben mehrere Songs gemacht; dann eine EP im Eigenrelease. Dann fanden wir es an der Zeit, im Radio gespielt zu werden – und das haben wir mit ,Harte Zeiten‘ ebenfalls hingekriegt. Dann haben wir gesagt, jetzt schauen wir, ob wir ein Label kriegen, so sind wir mit Andreas Voller zusammengekommen, und jetzt bringen wir eine LP auf Vinyl heraus.“
„Das Debütalbum. Mit 47“, lacht Brien.
Etwas kurios dargestellt, klingt die Musik, von einem unerbittlichen Beat mit kräftigem Bass vorangetrieben, von Gitarren eher begleitet als geprägt und von nebligen Synthesizern umweht und durchzogen, wie eine Kreuzung aus Joy Division (eher „Unknown Pleasures“ als „Closer“) und New Order – zwei Inkarnationen derselben Band also.
„Es war die Idee, die Kälte, um die es hier geht, musikalisch widerzuspiegeln und da war definitiv das Ziel, eine Art zeitgemäße Form von Joy Division zu finden“, bestätigt Brien.
Die elektronischen Beigaben und die daraus resultierende Zuspitzung auf die düstereren Sounds der frühen 80er-Jahre sind nicht zum geringsten Teil das Werk des Produzenten Alf Peherstorfer, dem Mastermind der Indie-Pop-Elektro-Band Kommando Elefant.
„Das Elektronische, die Synthesizer, das kam von Alf“, bestätigt Knabenschuh. „Wir haben aber auch viele Sachen mit MacBooks und Garage Band selbst aufgenommen. Dann hatten wir also ein Songgerüst und Jörn hat den Text dazu geschrieben oder der Text war da und wir machten ein Songgerüst dazu. Als es an die Frage ging, welche Sounds wir uns dazu vorstellen könnten, kam Alf dazu und sagte, okay, gießen wir es in dieses Elektro-Pop/New Wave-artige Design und das hat super funktioniert.“
Vergangenheitsbewältigung
Dass die DDR zum Thema wurde, das mittelbar auch den musikalischen Rahmen kreierte, hat mehrere Gründe.
„Ich begann, mich mit meiner Vergangenheit auseinanderzusetzen“, berichtet Brien. „Und da ist das alles herausgeflossen und signalisierte: Die Geschichte will erzählt werden. Zugleich bin ich mit der Geburt und dem Aufwachsen meiner Tochter an meine eigene Kindheit und Jugend erinnert worden und habe diese ganzen Gefühle, Isolation, Einsamkeit, Angst, wieder gespürt. Das wurde dann eingepasst in die Musik, und das war kein Hineindrücken, sondern floss ineinander.“
Natürlich wollen Parc de Triomphe diese Vergangenheitsbewältigung keineswegs als reine Nostalgie (miss)verstanden wissen, sondern reklamieren ihre aktuelle Relevanz. „Die Dinge, die´s damals gegeben hat, lassen sich ziemlich gut auf die Gegenwart umdeuten“, meint Knabenschuh.
Eine Facette der Auseinandersetzung betrifft, wie etwa im treibenden „Orden an die Wand“, einem der potentiellen „Hits“ des Albums neben „Harte Zeiten“ und „Westradio“, die in Ostdeutschland aufgekeimte DDR-Verklärung.
„Dieses System hat Tote produziert! Das ist kein geiles System!“ schimpft Brien. „Und da gibt´s jetzt Parties mit DDR-Jacken, Simson*-Fahnen und FDJ**-Hemden. In ,Orden an die Wand‘ appelliere ich an meine Tochter und nachfolgende Generationen, diesen Krempel doch wegzuwerfen. Die Last von früher loswerden.“
Wie die zwei betonen, ist DDR-Sehnsucht keineswegs rein als Klamauk zu verstehen, sondern wird tatsächlich ernsthaft empfunden: „Ich glaube, dass bei vielen Leuten echte Sehnsucht nach früher besteht“, sagt Knabenschuh. „Man hört dann: ,Der Zusammenhalt zwischen den Leuten!‘ Schwachsinn!“
„Das ist etwas, wogegen ich richtig ankämpfe“ wirft Brien ein. „Ich habe jetzt einen Blog gestartet, in dem ich meine Geschichte aufarbeite, erzähle, was früher alles passiert ist und gegen solche Verklärungen anschreibe. Und dabei haben viele von denen, die heute von der DDR schwärmen, damals noch gar nicht gelebt. Die haben halt von ihren Eltern nicht erfahren, dass das nicht so cool war.“
*Simson: Moped- und Motorrad-Hersteller in der DDR
**FDJ: „Freie deutsche Jugend“: kommunistische Jugendorganisation

Parc de Triopmhe: Parc de Triopmhe (Voller Sound)
„Ich bin durch meine Tochter an meine eigene Kindheit und Jugend erinnert worden und habe diese ganzen Gefühle, Isolation, Einsamkeit, Angst, wiedergespürt." Sagt Jörn Brien.