Der Rausch und sein lästiger Schatten
Ihr viertes Album hat die Wienerin Anna Mabo vor kurzem veröffentlicht. Der Titel „Mittelschwere Ekstase“ mutet freilich an wie ein Widerspruch in sich und scheint auch nicht wirklich zur entspannten musikalischen Form zu passen.

Anna mabo & die Buben: Mittelschwere Ekstase (Bader Molden Recordings)
Als sie 2019 mit dem Album „Die Oma hat die Susi so geliebt“ auftauchte, schien sie zur interessanten Randerscheinung prädestiniert. Zu eigenwillig, verschroben, versponnen, exzentrisch schien das musikalische Werk der 1996 geborenen Wienerin Anna Mabo, als dass man ihr eine zentrale Position in der hiesigen Pop-Szene eingeräumt hätte.
Verstärkt wurde ein solcher – gewiss nicht von reinster Unvoreingenommenheit zeugender – Kategorisierungs-Reflex durch Mabos künstlerische Vita: Eigentlich kommt sie vom Theater, hat am Reinhardt Seminar studiert und u.a. am Wiener und Salzburger Schauspielhaus, an den Volkstheatern in Wien und München, an den Landestheatern St. Pölten, Linz und Innsbruck inszeniert; ihre aktuellste Regie-Arbeit, das Musical „Ferdinand Raimund – Der Ganze“, wird gerade im Wiener Rabenhof gespielt.
Vor so einem Hintergrund auch noch Musik zu machen, sieht schnell einmal kapriziös aus – beziehungsweise self-indulgent, wie das die Amis so treffend wie schwer übertragbar nennen: Ein williges Sich-Hingeben an jedwede Art von kreativen Aufwallungen – unbeschadet irgendwelcher Reflexion und Selbstkritik.
Indes wurde, wer solches unterstellte oder argwöhnte, von Anna Mabo rasend schnell eines Besseren belehrt: Diese Frau meint es ernst mit ihrer Musik. Verdammt ernst.
Nachdrücklich klar geworden ist das spätestens 2023, als Mabo zusammen mit Dorian Concept das Wiener Popfest, die Renommierveranstaltung der heimischen Pop-Kultur, kuratierte.
Bezaubernd & anstrengend
Tatsächlich sind Anna Mabo einige der bezauberndsten Momente zu verdanken, die Österreichs Pop je hervorgebracht hat: anrührende, ergreifende, mitreißende, von originellem und bisweilen auch abseitigem Humor bereicherte Momente von Freude, Überschwang/-mut, Traurigkeit und Wundern über die Welt.
Es gibt demgegenüber auch nicht ganz wenige Momente, wo Anna Mabo anstrengend / sehr anstrengend und zur Herausforderung für die Nerven werden kann.
Relativ wahrscheinlich werden viele Ohrenzeugen diese Fallhöhe in Mabos Wirkmacht grundsätzlich nachfühlen und bestätigen können – ziemlich sehr sicher indes werden die Beurteilungen, wo es ergreifend und wo es anstrengend ist, sehr unterschiedlich ausfallen. Es ist fast ein Gemeinplatz bzw. eine Selbstverständlichkeit, aber natürlich gibt es nicht wenige Stücke, die beides im Angebot haben.
Molden als Karrierehelfer
Purismus im Dienste des „Reinen“, „Unverfälschten“, „Ursprünglichen“ etcetcetc. wird wahrscheinlich „Die Oma hat die Susi so geliebt“ („Susi“ ist, wie notabene auch „Belle“ bei Belle & Sebastian, ein Hund) zum Fan-Favoriten küren. Von allen vier Alben Mabos ist es am sparsamsten arrangiert, während ihr vor nichts – weder Pop, Folk, Blues-Anklängen noch Chanson, Kammermusik, Jazz, Rock und abrupten Tempowechseln – Halt machender Eklektizismus bereits in voller Blüte entfaltet ist.
Produziert worden ist der Erstling von Mabo gemeinsam mit Ernst Molden, der ihre musikalische Karriere auf mehrere kräftige Beine gestellt hat: Er hat die Sängerin, Song-Autorin, Gitarristin und Pianistin bei frühen Aufnahmen an Gitarre und Mundharmonika unterstützt, sie mit Szenegrößen wie Walter Soyka (RIP) oder Produzent und Studiobesitzer Thomas Pronai kurzgeschlossen und bietet ihr gemeinsam mit Charly Bader bei Bader Molden Recordings ein gutes Heim als Label.
So reduziert und bisweilen sogar fast schüchtern wie auf dem Debüt klingt Mabo auf den Longplayern, die danach gefolgt sind, nie wieder. Die LPs „Notre Dame“ (2021) und „Danke, gut“ (2023) präsentieren eine hundertprozentig selbstbewusste, in der Auswahl der Stilmittel sichere Künstlerin, die ausgiebig, ja exzessiv Gebrauch macht von den Produktionsmöglichkeiten, die ein Studio hergibt. Dieses Exzessive korrespondiert bei ihr stimmig mit den Inhalten, ist also dramaturgisch meist durchaus angemessen. Dass es bisweilen an Überspanntheit anstreifen kann, ist gewissermaßen Berufsrisiko.

Frau Anna und die Buben (l. Clemens Sainitzer, r. Alexander Yannilos) © Helene Payrhuber
„Mittelschwere Ekstase“ verheißt nun Anna Mabos viertes Album. Der Titel mutet natürlich schon per nominem wie ein Widerspruch in sich an, denn „Ekstase“ und „mittel“ passen assoziativ nicht wirklich zusammen.
Die optische Präsentation der Künstlerin, die statt üppiger Lockenpracht und aufgekratzter Lebensfreude nun einen spartanischen Bürstenschnitt und einen strengen Blick zur Schau stellt, sieht eher nach dem Gegenteil von „Ekstase“ aus.
Inhaltlich kann man die mittelschwere Ekstase allenfalls bruchstückhaft erahnen: wenn man sie denn als ein Synonym für Verliebtheit inklusive all der Zweifel und Skepsis, sie sich dem emotionalen Rausch als lästige, schattenhafte Begleiter anzuheften pflegen, ansehen will. Der Begriff „mittel“ hätte dann eine relativierende Funktion, wo nach landläufigem Denken eine Relativierung nichts verloren hat.
Der flotte Opener „Anders jetzt“, „Warten schwer“, das in einer eigentümlichen Coda auslaufende „Dirty Dancing“ und mittelbar vielleicht auch das sehr schöne „Finger“ ließen sich in diese Richtung deuten.
Passagen wiederum, die den Alltags-Unpässlichkeiten, dem Älterwerden oder überhaupt der Vergänglichkeit Tribut zollen, sprechen dagegen eher für illusionslosen Realitätssinn.
Entspannt wie noch nie
Musikalisch ist „Mittelschwere Ekstase“ – unter dem Namen Anna Mabo & die Buben veröffentlicht und eingespielt mit Clemens Sainitzer (Cello, Bass, Gesang) und Alexander Yannilos (Schlagzeug, Perkussion, Elektronik, Gesang) – Mabos bislang entspanntestes Album.
Nicht etwa introvertiert leise wie (stellenweise) das Debüt, verzichtet Yannilos‘ Produktion selbstbewusst auf jedes überflüssige Gramm Personal und Material und konzentriert den musikalischen Fluss auf akustische Balladen mit jazziger Unterströmung.
Hin und wieder wird die Gangart etwas Richtung Pop begradigt, während es eingangs des letzten LP-Drittels in „Einbahn“ und „Wut zurück“ auch zu Zuspitzungen von langsamen Passagen und lauerndem Abwarten auf explosive Rock-Eruptionen und emotionalen Furor kommt.
Was „Mittelschwere Ekstase“ mit früheren Mabo-Platten gemein hat, ist, dass es sich mit der Tagesverfassung und der Zuwendung des Hörers* verändert. Sprich: Daneben staubsaugen oder die Gewinnmargen für die Aktienfonds zu kalkulieren, dürfte eher wenig ertragreich sein.
Diese Musik gibt so viel, wie man ihr gewährt. Dass man diese Gleichung bis gegen unendlich hoch spielen kann, legt Zeugnis von ihrer Klasse ab.
* Weibliche Form mitgemeint

Anna mabo & die Buben: Mittelschwere Ekstase (Bader Molden Recordings)
„Mittlere Ekstase“ verzichtet selbstbewusst auf jedes überflüssige Gramm Mensch und Material.