Die Welt ist schlecht und reif für Kreisky
Euphorie lösen Kreisky mit ihrem aktuellen Album „Adieu Unsterblichkeit“ aus. Im Gespräch reflektiert Sänger und Texter Franz Adrian Wenzl über die künstlerische Zeichensprache einer der brillantesten Rock-Bands des deutschen Sprachraums.

Gepflegte Männer bei der Arbeit: Kreisky (© Ingo Pertramer)
Die Welt ist schlecht, aber sie ist, scheint´s, reif für Kreisky. Womöglich besteht ein Zusammenhang.
Respekt begleitet das Wiener Quartett mit oberösterreichischen Wurzeln seit seinem 2007 veröffentlichten, unbetitelten Debütalbum und dessen Nachfolger „Meine Schuld, meine Schuld, meine große Schuld“ (2009). Aber oft schien seine musikalische und inhaltliche Radikalität eher Verblüffung als genuine Begeisterung auszulösen.
Das ist bei ihrem kürzlich veröffentlichten Longplayer „Adieu Unsterblichkeit“ deutlich anders: Jubelarien in den hiesigen Medien, Radio-Airplay in Deutschland (Platte der Woche beim Zündfunk, Session bei radioeins) und nicht zuletzt Platz 13 in den österreichischen Charts. Eindeutig mehr, als Musik mit so rigid eingestellter Breitenwirksamkeitsbremse erwarten darf.
„Wir sind ja eine ziemlich spröde Band“, räsoniert Kreiskys Sänger, Texter und Keyboarder Franz Adrian Wenzl, der mit dem Zug zwischen seinem Arbeitsmittelpunkt Wien und seinen zwei Kindern in München hin- und herpendelt, beim Interview im malerischen Café Raimann in Meidling. „Von dem her finde ich, dass wir eine Breite erreicht haben, die nicht unbedingt in der Musik angelegt ist. Natürlich könnte immer ein bisschen mehr gehen – viel mehr muss es aber auch nicht mehr werden. Denn dann kann man nicht mehr alles selber machen und muss einen Tross aufbauen.“
Sinister, desillusioniert
Der Zuspruch zu „Adieu Unsterblichkeit“ erstaunt insofern, als ihm keinerlei Kursänderung Richtung mehr Gefälligkeit zugrundeliegt. Im Gegenteil, nach dem als fast schon optimistische Coming-of-Age-Platte gebrandeten „Atlantis“ (2021) präsentiert sich das siebente reguläre Kreisky-Album sinister, desillusioniert und ohne befreiende Hoffnungsschimmer. Dass etwa „eine Welt voller Brutalität, eine Welt voll Hass, eine Welt voll Neid“ auch „die einzige Welt“ ist, die wir haben, ist nicht wirklich ein Trost, eher das Gegenteil.
Dass allerdings im öffentlichen Diskurs der Kontrast zum Vorgänger, den trotz zugänglicherer musikalischer Strukturen und nicht ganz so finsteren Inhalten immer noch Welten von Seinszuständen wie Frohsinn und Verzückung trennen, etwas allzu drastisch hervorgestrichen scheint, ist nicht allein das Werk von Kritikern, sondern nicht zuletzt der Band selbst.
„Wir versuchen ja auch selbst, unsere Musik zu vermitteln“, erklärt Wenzl, „und schauen uns also an, was macht jetzt den Unterschied von dieser Platte zur anderen aus und das stilisieren wir dann ein bisserl hoch. Wir wollen ja nicht immer dieselbe Platte gemacht haben.

Kreisky: Adieu Unsterblichkeit (Wohnzimmer Records)
Und ja, auf ,Atlantis‘ waren ein paar Lieder wie ,Lonely Planet‘ oder „Wenn einer sagt‘, wo gesagt wird, hey, du bist jung, stoß‘ dir die Hörner ab, du darfst das, die Welt steht dir offen – dieses Element hat´s auf jeden Fall gegeben und gibt es auf ,Adieu Unsterblichkeit‘ so nicht.“
In mehrerlei Hinsicht stützt sich „Adieu Unsterblichkeit“ wieder stärker auf Komponenten, mit denen Kreiskys Frühwerk, insbesondere „Meine Schuld, meine Schuld, meine große Schuld“, Maßstäbe für deutschsprachigen Indie-Rock definiert hat: Die vertrackten Songstrukturen, den harten, dabei eigentümlich trockenen, tatsächlich spröden, gegen jede Anwandlung von Lieblichkeit immunen Sound mit dem mächtigen Bass (Lelo Brossmann), dem voluminösen Schlagzeug (Klaus Mitter), der unnachgiebigen Gitarre (Martin Max Offenhuber) und dem gnaden- und schonungslosen, durchdringenden Geifern des Franz Adrian Wenzel.

Kreisky, ein bisserl eingekastelt: Martin Max Offenhuber, Franz Adrian Wenzl, Klaus Mitter, Hellmuth „Lelo“ Brossmann (© Ingo Pertramer)
Texte, die die Welt und das Heute in all seiner Komplexität, Vielfalt, Absurdität vermitteln, ohne sie fotomotivisch abzubilden. In denen Fetzen von Zitaten aus der Hochkultur mit entstellten Überresten gemeuchelter Werbeslogans und allen Arten von Marketing-, insbesondere Selbst-Marketing-Sprech durcheinanderzuwirbeln scheinen.
Zumeist, sagt Wenzl, komme er mit halbfertigen Texten in den Proberaum, die aus dem Sound heraus weiterentwickelt werden. „Vielleicht zwei Mal“ in 20 Karrierejahren sei ein Text schon vor Aufnahmebeginn komplett fertig gewesen.
„Ein Monat hat sieben Wochen, ein Jahr hat sieben Monate“
„Was auch durchaus vorkommt, ist, dass wir ein Stück Musik haben, das noch keinen Text hat. Dann singe ich irgendetwas dazu, dann sind die Laute da, daraus entwickelt sich ein Satz und daraus entwickelt sich Schritt für Schritt eine Geschichte.“
„Die Pedale“, nicht nur für Wenzl ein zentrales Stück von „Adieu Unsterblichkeit“, ist auf diese Weise entstanden: „Das ist fast ein bisschen Doors-mäßig, wie ein Road-Movie-Song, wo man eine bestimmte Person miterlebt. Die Figur ist auf einem Rad unterwegs, man erfährt, dass sie in einem komischen Job arbeitet, den man gar nicht richtig beschreiben kann – jedenfalls ist es eine eigenartige, dabei recht heutige Lebenssituation, erzählt auf eine etwas kafkaeske Art, wo eine traumhafte Logik mit der Wirklichkeit kollidiert. Und da haben wir dieses bombastische Finale, das wir unseren Bruckner-Schluss nennen – da verfällt sie in eine Art Wahn und in eine Zahlenmystik“.
Hier entfaltet die magische Zahl sieben ihre Hexenkräfte: „Eine Woche hat sieben Tage / Ein Monat hat sieben Wochen / Ein Jahr hat sieben Monate / Ein Jahrzehnt hat sieben Jahre / ein Leben hat sieben Jahrzehnte / eine Katze hat sieben Leben / Und jetzt dämmert es mir / Jetzt dämmert es mir! / Natürlich! / Sieben! / Primzahl!“.
Zwischen Alltagstristesse, Albtraum und halluzinatorischer Entrücktheit findet auch noch ein Stück erlebte Realität Platz:
„Es war in München vor zehn Jahren, dass ein paar Buben auf der Straße vor einer Ampel debattierten, wie sie ihre Bande nennen. ,Nennen wir uns ,Die Piraten!‘ ,Nein!‘ ,Oder wir nennen uns die Nazis!‘ An sich süß, aber für den Song kann man es aufladen – als Omen oder als Menetekel für die Zeit, wenn man so will“.
Der genannte Song „Die Pedale“, dessen Finale fast die martialische Wucht von Laibachs „Opus Dei“ erreicht, steht, neben dem Titelstück und dem abschließenden „Was ist das für eine Welt“ für ein neues Element in Kreisky-Musik: Eine regelrecht symphonische Anmutung in Momenten dramatischer Zuspitzung durch den verstärkten Einsatz von Keyboards und Synthies.
Das ist, wie Wenzl mutmaßt, eine Folge des Engagements für eine österreichische „Tatort“-Folge, die wie der dafür verwendete Song „Was ist das für eine Welt“ heißt und am 26. Februar 2023 ausgestrahlt wurde. Ursprünglich hatte die Folge „Kreisky ist tot“ geheißen, und die Drehbuchautoren hatten die Band von vorneherein auf der Rechnung. So kam es, dass Kreisky für diesen Austro-„Tatort“ auch den Score beisteuerten. Es sei – nicht selbstverständlich bei Kooperationen dieser Art – ein angenehmes Arbeiten gewesen, erzählt Wenzl, und habe der Band interessante Impulse vermittelt.
„So was, Instrumentalarbeit, wollten wir eh schon immer machen. Und ja, das symphonische Element kann eine Folge der Soundtrack-Arbeit sein, von der ein bisserl was bei uns picken geblieben ist.“
In den letzten acht Jahren haben Kreisky mehrere Male die engeren Grenzen ihres Genres überschritten: Neben dem „Tatort“ bespielten sie auch den Rabenhof mit Musik zu Sibylle Bergs Monolog „Viel gut essen“ (2017) und Peter Handkes Klassiker „Publikumsbeschimpfung“ (2023). In beiden Fällen mit Franz Adrian Wenzl in tragender darstellerischer Mission.
Das Schauspiel ist eigentlich sowieso eine tragende Säule im Schaffen Wenzls. Denn seine bekannteste öffentliche Persona ist die Impersonifikation des verstorbenen Queen-Sängers Freddie Mercury als Austrofred.
„Fächerübergreifendes Gesamtkunstwerk“: Wenzl als Austrofred
Längst hat sich dieses Rollenspiel vom historischen Vorbild abgelöst und sich, um den Austrofred wörtlich aus einem seiner Programme zu zitieren, zu einem „fächerübergreifenden Gesamtkunstwerk“ ausgeweitet, das neben abenteuerlichen Kreuzungen von Queen-Musik mit Austropop-Hits Kabarettprogramme aufführt und Bücher veröffentlicht.

Wenzl voll in der Rolle des Austrofred (© Ingo Pertramer)
„Ich dachte ursprünglich, das ist ein kurzzeitiger Witz. Und ich hab auch stets im Hinterkopf, dass es irgendwann vorbei sein kann oder mich nimmer freut – und das wär dann auch ok. Aber noch fällt mir immer was ein.“
Wegen der unerwarteten Langlebigkeit des Projekts wurde Wenzl als Austrofred Zeuge, wie sich optische Signale wandeln. „Als ich angefangen habe, war der Schnauzbart ein Merkmal von Witzfiguren. Jetzt ist er wieder en vogue“.
Venues, Publikumsstruktur wie auch -menge seien bei Austrofred und Kreisky vergleichbar. „Man kann nicht sagen, eins ist das Hauptding und das andere ein Hobby. Ich mache gerne Sachen gleichzeitig: Jetzt haben wir die Kreisky-Platte fertig, machen Promo, gehen auf Tour; in der Zwischenzeit, wenn ich im Zug sitz, kann ich schon wieder ein Austrofred-Buch schreiben zum Beispiel.“
Kreisky on Tour: 26.11., Wien, WUK; 27.11. Graz, Orpheum; 28.11. Salzburg, ARGE; 29.11. Linz, Stadtwerkstadt; 17.12. Innsbruck, Treibhaus; 18.12., Dornbirn, Spielboden; 19.12. Ebensee, Kino; 20.12. Steyr, Röda

Gepflegte Männer bei der Arbeit: Kreisky (© Ingo Pertramer)
Viel mehr Breitenwirkung wollen Kreisky gar nicht mehr. „Denn dann muss man einen Tross aufbauen“, sagt Sänger Franz Adrian Wenzl.



