Erlösung auf dem Tanzboden

Mit dem konsequent dancelastigen und dennoch vielschichtigen Album „Chin Up Buttercup“ begeistert die kanadische Künstlerin Katie Stelmanis alias Austra.

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27. November 2025

Austra: Chin Up Buttercup (Domino Recording)

Schon das Cover ist eine Meisterleistung: Ein Lachen, das aus dem Weinen kommt und jeden Moment wieder zu Weinen werden kann (wird). Passend zum Kopf-hoch!-Titel der innenliegenden LP und der emotionalen Verfassung, in der diese die Frau im Bild präsentiert.

Chin Up Buttercup“ heißt der fünfte Longplayer von Austra, dem Projekt der lettischstämmigen kanadischen Sängerin, Songschreiberin und Pianistin Katie Stelmanis. Der Bruch einer Beziehung ist ihm vorausgegangen.
Der Song „Blindsided“ schildert diesen in dramatischer Unmittelbarkeit: Eines Morgens eröffnet ihre Partnerin der völlig ahnungslosen und vor den Kopf gestoßenen Protagonistin, sie sei nicht glücklich in der Beziehung – und geht, ohne auch nur „goodbye“ zu sagen.

Nun, Beziehungsver(w)irrungen lagen schon dem letzten Austra-Album „Hirudin (2020) thematisch zugrunde.
Einigermaßen drastisch unterschiedlich ist indessen ihr musikalischer Widerhall: Zeigte „Hirudin“ mit Chören, exotischem Instrumentarium und hin und wieder auch etwas Pathos einen leichten Zug ins Barocke, so drängt „Chin Up Buttercup“ geradewegs auf den Dancefloor, der sich hier – ganz ohne Ironie! – als Erlösungsversprechen präsentiert.

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Bis zum Album „Future Politics“ (2017) stand der Name Austra – Katies zweiter Vorname (und in der lettischen Mythologie der Name der Lichtgöttin) – für eine echte Band; mittlerweile ist er einfach nur mehr Nom de guerre für Stelmanis‘ Schaffen.

Bei „Chin Up Buttercup“ tat sich die 40-jährige, stimmlich wie instrumental klassisch ausgebildete Künstlerin mit dem ebenfalls aus Toronto stammenden Produzenten und Songautor Kieran Adams zusammen. Gemeinsam mit Adams schrieb und produzierte Stelmanis sämtliche zehn Stücke und spielte mit Synthies, Samplern, Computern und Percussion fast die gesamte Musik ein.

Minimal-Aufwand

Zwei Mal kam eine Gitarre (Eirene Cloma), ein Mal ein Bass (Bram Gielen) zum Einsatz, in zwei Stücken unterstützten kanadische Musiker die Kompositionsarbeit: Pop-Crooner Sean Nicholas Savage bei „Look Me In The Eye“ und Patrick Holland, ein R&B- und Dream-Pop-affiner Sänger, Songwriter und Produzent aus Montreal, bei „Siren Song“.

Katie Stelmanis, kulinarisch(© Lamia Karić)

Dem minimalen Aufwand entsprechend ist das Klangbild schlank – aber verblüffend versatil und nuancenreich: Von einer Sekunde auf die andere kann Austra von tiefster Introspektive auf vollen Disco-Gib-ihm (und zurück) wechseln.

Der nicht einmal zwei Minuten lange Titelsong, den man sich am besten wie einen Bremstest in einer rasenden Karussellfahrt vorstellt, beginnt bei Tempo Null, nimmt einen Drum ’n’ Bass-ähnlichen Rhythmus auf, der sich unvermittelt zu speedigem Euro-Dance beschleunigt und schleift sich ebenso abrupt zurück auf Stillstand ein.

Dem zugrundeliegenden Thema entsprechend, präsentieren sich die Inhalte auf „Chin Up Buttercup“ anklagend, verletzt, ratlos, bisweilen auch etwas reuig, sarkastisch und erstaunlicherweise hin und wieder sogar ein bisschen lustig. „Oh, whoops! Haha. Whoopsies!“, albert Austra zu einem passend burlesken Synthi-Motiv in „Think Twice“.

Eine mathematische Gleichung

You said I needed my own friends / So I found them, then you fucked them“, lautet die spektakulärste und erwartbar meistzitierte Textzeile. Das kommt, bar jedes melodischen Schmelzes in ein spartanisches Electropop-Arrangement gegossen, so saunüchtern daher, als ginge es um Einkaufen im Supermarkt.
Im Übrigen sind auch andere Textpassagen des entsprechenden Stückes, „Math Equation“ heißt es, mehr als bemerkenswert: „A triangle, before it ever joined together / Kicked me off the grid, out of the spectrum“ etwa, oder, gleich danach: „I used to calculate the percentage / The moment, I was removed / Subtracted, like a math еquation“.

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In „The Hopefulness of Dawn“ eröffnet ein elegant schwebender Synthesizer einem aufgekratzten House-Beat den Weg aus medidativer Versenkung. Der Abschluss mit „Good Riddance“ verströmt, mit Hall auf der Stimme, der sich zum feierlichen Chor ausweitet, spirituelle Andacht. Wie der Titel sagt, handelt er von Erlösung. Und dieses einzige Mal bleiben die Rhythmus-Generatoren still.

Austra: Chin Up Buttercup (Domino Recording)

Von einer Sekunde auf die andere kann Austra von tiefster Introspektive auf vollen Disco-Gib-ihm (und zurück) wechseln.