Opulenz am fiktiven Campus
Will Toledo und seine US-Band Car Seat Headrest überraschen nach fünf Jahren Veröffentlichungspause mit einem Konzeptalbum voller Richtungswechsel.

Car Seat Headrest: The Scholars (Matador / Beggars)
Will Toledo aus Leesburg, Virginia, wählte selten den geradlinigen Weg und war immer für Überraschungen gut. Seine Musikkarriere startete er, indem er zu Hause begann, mit Gitarre und Laptop Songs aufzunehmen und in rascher Abfolge Alben aus seiner (Heim-)Produktion auf die Plattform Bandcamp zu stellen. Chris Lombardi, Gründer von Matador Records, entdeckte Toledo auf diese Weise und nahm den umtriebigen Musiker rasch unter Vertrag. Damit wurde das Ende der spleenig-nerdigen Lo-Fi-Alben mit DIY-Charme eingeläutet und Toledo entdeckte die vielfältigen Möglichkeiten eines Tonstudios für die künftige Produktion seiner Musik.

Indie-Slacker mit Hang zu Songs in Überlänge: Will Toledo ((c ) David Lee from Redmond, WA, USA, gemeinfrei)
So wurde aus dem fast autistisch anmutenden Heimprojekt Car Seat Headrest eine Band, die sich rasch eine große Fangemeinde erspielte. Das 2016 veröffentlichte Album „Teens Of Denial“ mit zahllosen Pavement-, Dinosaur-Jr.– und Daniel-Johnston-Referenzen ist inzwischen zu einem Indie-Klassiker geworden. Nach dem 2020 veröffentlichten Album „Making A Door Less Open“ folgte eine – auch durch die Pandemie und eine schwere Long-Covid-Erkrankung bedingte – Veröffentlichungspause von fünf Jahren, ehe sich Will Toledo nun mit einem neuen Album nachdrücklich und ambitioniert zurückmeldet.
Statement gegen die digitale Flüchtigkeit
Der Indie-Slacker hat die Formate „Konzeptalbum“ und „Rockoper“ für sich und klassische Alben wie „Tommy“ von The Who und „The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars“ von David Bowie als Inspirationsquelle entdeckt. „The Scholars“, so der Albumtitel, spielt auf dem fiktiven Campus der Parnassus-Universität und gleicht mit seinen Erzählungen über Leben, Tod und Wiedergeburt einer spirituell-philosophischen Reise im Albumformat. Musikalisch werden Indie-, Noise-, Psychedelic-, Gothic- und Folk-Rock sowie Power-Pop in epischer Breite neu zusammengefügt und freigeistig interpretiert. Man hört den Einfluss von Pavement, Camper Van Beethoven, Eels und den Pixies – und Toledo lebt seinen Hang zur Opulenz exzessiv aus. Ausufernde Songs mit einer Spieldauer von neun, zwölf oder sogar neunzehn Minuten sind nicht nur den Formaten geschuldet, sondern können auch als musikalisches Statement gegen den flüchtigen Charakter der Internetkultur interpretiert werden.
Die Songs mit Überlänge bieten neben den bandtypischen musikalischen Trademarks auch Stop-and-go-Parts und überzeugen mit Vielfalt, Eleganz, Dynamik, Detailreichtum und überraschenden Richtungswechseln. Car Seat Headrest, lange Zeit als Soloprojekt betrieben, sind mit diesem Album endgültig zu einer (gleichberechtigten) Band zusammengewachsen: Gitarrist Ethan Ives, Schlagzeuger Andrew Katz und Bassist Seth Dalby sind am Songwriting beteiligt und haben auch Gesangsparts übernommen.
Dass ein Konzeptalbum wie „The Scholars“ als Doppel-LP mit 28-seitigem Booklet und einer Spielzeit von siebzig Minuten episch ausgefallen ist, überrascht wenig. Dass dabei mit dem von treibender Energie geprägten „The Catastrophe (Good Luck with that, man)“, dem psychedelisch grundierten „Gethsemane“, dem beschwingten Folkrock-Song „Gay Lady Approximately“ und dem neunzehnminütigen „Planet Desperation“ mit Classic-Rock-Anmutung einige außergewöhnliche Songs abfallen, schon viel mehr. Tolles Comeback.

Car Seat Headrest: The Scholars (Matador / Beggars)
Musikalisch werden Indie-, Noise-, Psychedelic-, Gothic- und Folk-Rock sowie Power-Pop in epischer Breite neu zusammengefügt und freigeistig interpretiert.