Teufel, Engel und Partygirls

Von schmachtenden Ambivalenzen, sprechenden Zebras und stimmlosen Barden: Neue Songs u.a. von Tom Odell, David Byrne, Patrick Watson und The Beaches.

Von
8. Oktober 2025

Vage Spuren eines geglückten Lebens: "A Wonderful Life" von Tom Odell (Urok / Virgin)

„A Wonderful Life“? Wie kommt man dieser Tage auf solch einen Titel? Der britische Barde Tom Odell nennt sowohl sein neues (insgesamt siebentes) Album als auch einen Song darauf derart frohgemut. Freilich nicht ohne doppelten Boden, wie er in einem Interview (mit dem „Rolling Stone“) ausführt: „Es ist wie mit Liebe und Trauer: Sie leben nebeneinander. Und genauso der Teufel und der Engel – das Gute und das Böse sind miteinander verstrickt.“

Genau diese Ambivalenz soll der (Titel-)Song auch zum Ausdruck bringen. Und er tut das in dieser leicht brüchigen, sehnsuchtsvoll-schmachtenden Weise, die für Odell, der 2012 mit „Another Love“ – einem der meistgestreamten Songs weltweit – berühmt wurde, typisch ist.

Chef-Melancholiker

Wie ein etwas komplexerer James Blunt nuschelt sich der 34-Jährige durchs wundervoll doppelgleisige Leben, bevor er in einen herzzerreißenden Diskant ausbricht, wenn quasi von der Kirchturmspitze her Unheil droht („And St. Peter’s calling“!), das Odell mit „No, no I don’t wanna die“ flehentlich abwehrt. Recht so! Wir brauchen dich, hochgeschätzter Chef-Melancholiker, noch länger für unser aller Seelenfrieden (und fürs Wien-Konzert, das am 23. November in der Wiener Stadthalle ansteht)!

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Zentrales Danebenstehen

Obzwar ebenfalls grundsätzlich der Ambivalenz verpflichtet, gibt sich David Byrne auf seinem neuen, mit allerlei Kontributoren (u.a. St. Vincent) und dem New Yorker Kammerensemble Ghost Train Orchestra eingespielten Album, „Who Is The Sky“, doch überraschend eindeutig positiv & lebensfroh. Und knallbunt obendrein. In dem Song „I’m an Outsider“ steht der einstige Ober-Talking-Head zwar breitbeinig & zentral drinnen, auch wenn er bei einer Angebeteten buchstäblich danebensteht und um Einlass in deren allzu exklusiven „Mind“ bitten & betteln muss – allerdings in dieser charmant-ironischen, augenzwinkernd-gewinnenden Byrne-Art & -Attitüde.

Mitten in dem perfekt austarierten und arrangierten Song gibt es ein moderates Zwischenspiel, das mit Einsichten/blicken in eine Art Wunderkammer aufwartet: „I met a talking zebra/ A man with fifty eyes/ I saw a fountain made of honey/ I climbed a mountain in the sky …“. Also dort will man auch hin – und nicht länger draußen stehen bleiben (müssen)!

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Missglückter Einbruch, geglückter Song

In die von Rèmy Klein besungene Galerie im Song „Hidden In The Gallery“ will man hingegen nicht hinein – schon gar nicht zusammen mit dem französischen Multiinstrumentalisten, der dort nicht weniger als einen Raubzug plant. „Spying through a hole“, kundschaftet er die Gegebenheiten aus, dringt schließlich in die Ausstellungsräumlichkeiten ein – und hat Pech, denn plötzlich ist er eingeschlossen (wie ein Idiot): „… the door is stuck and I’m locked in like a jerk“. Nicht nur das – er spürt auch noch Tropfen auf seiner Nase, und fürchtet, neben (und vielleicht sogar in) den Bildern von Géricault und Picasso abzusaufen.

Wir, als Draußenstehende, sind in diesem Falle buchstäblich trocken schadenfroh, denn dieser missglückte Einbruch wird uns mit einem höchst geglückten Song vergolten: In bestem Frenchpop-Stil glänzt dieses Popjuwel in schillernden (Wasser-)Farben, perlt zum Abschluss in ein wahnwitziges Gitarren- oder vielleicht auch Synthie-Solo aus, das viel von den musikalischen Talenten des französischen Jungstars verrät, der auf seinem Debütalbum „Friend In Need“ virtuos mit Genres und potentiellen Filmsoundtracks spielt.

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Berührendes Zusammenspiel

Aus einer ganz anderen, nicht minder faszinierenden Klangwelt stammen der italienisch-britische Singer/Songwriter Piers Faccini und der in Mali geborene Kora-Spieler Ballaké Sissoko, ein Virtuose dieses (Saiten-)Instruments. Ihr berührendes Zusammenspiel haben sie heuer – fast zwei Jahrzehnte nach ihrer ersten Begegnung – auf dem Album „Our Calling“ neuerlich eingefangen und archiviert. Exemplarisch geglückt ist der Song „Borne on the wind“ (sic!) – nicht zuletzt in dieser Live-Fassung.

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Stimmlos in die Höhe

Was kann einem Sänger Schlimmeres passieren, als seine Stimme zu verlieren!? Patrick Watson, dem Troubadour aus Montreal, ist das nach einem Schlaganfall 2023 drei Monate lang passiert. Nicht einmal sprechen konnte er, geschweige denn singen. Mittlerweile hat er es zum Glück wieder, sein freilich schon vor dem schicksalshaften Einschnitt leicht heiser klingendes Organ, dem und dessen Tragfähigkeit Watson auf seinem neuen Album (mit dem aussagekräftigen Titel „Uh Oh“) allerdings noch nicht gänzlich vertrauen dürfte, da alle Songs weiblichen Beistands bedürfen.

Besonders schön gelungen ist das im Title-Track, den Watson zusammen mit Landsfrau Charlotte alias Sea Oleena anstimmt – und in Gänsehaut evozierende Höhen treibt, um ihn schließlich in einer kindlichen, spieldosenhaften Melodie ausklingen zu lassen.

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Singen zwischen allen Stühlen

Was kann man von der englischen Band Wolf Alice (noch) erwarten? – Irgendwie alles und nichts. Schließlich wollte sich das seit 2012 bestehende Quartett aus (Nord-)London nie auf einen einheitlichen Stil festlegen, changierte stets irgendwo zwischen lyrischem Pop und hymnischem Rock, saß (und sang) gerne zwischen allen Stühlen. Das hat sich auch auf dem neuen Album, „The Clearing“, nicht wirklich verändert.

Was die vier können, zeigt freilich „Two Girls“, einer dieser unspektakulären, aber handwerklich perfekten Popsongs, bei denen einfach alles stimmt, ohne dass sie einen deswegen vom Hocker reißen. Ellie Rowsell (be-)singt „just two girls at the bar/ like two kids in the park/ here’s the stage, your’re the star…“ Alles simpel, alles easy, und doch von solider Klasse.

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Wie man den Hamburger Hafen rockt

Bleibt noch ein anderes Quartett, das die Tugenden simpel & easy aber so was von aus dem FF beherrscht: The Beaches aus Toronto, auch schon seit 2009 bestehend, eine meiner Lieblings-Girlbands. Damit bin ich nicht alleine, wie u.a. ein Song belegt, der ihrem aktuellen Album, „No Hard Feelings“, entstammt. Und vor allem zeigt das ein Video, in dem die Kanadierinnen den halben Hamburger Hafen mit „Last Girls At The Party“ im Sturm erobern, wenn sie im Rahmen von Ina Müllers (fast) immer fetziger TV-Show „Inas Nacht“ live frisch-forsch loslegen, sodass die ollen Knacker mit den Käptn-Mützen vor dem Fenster, die sonst nur für die Lacher zuständig sind, vor Begeisterung auf- und abhüpfen. Diese Party wird nicht die letzte gewesen sein…

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Rätselhafte Heimwerker

Bleibt zum Schluss ein kleines Rätsel: Wer ist / wer sind JOHN? Unter diesem auffällig unauffälligen Namen (den übrigens der Tiroler Oberkrimineser Bernhard Aicher auch gerade als Titel für seinen aktuellen Roman verwendet hat) sind heuer bisher drei Singles & Videos erschienen (u.a. auf YouTube, allerdings nicht auf Spotify), über deren Verfasser man kaum etwas weiß bzw. erfährt.

Die in einem gefällig weichgespülten Neo-Soul daherkommenden Tracks, die ein Poster auf YouTube treffend „Silk Smooth“ nennt, haben allesamt mit der kalifornisch-japanischen Sängerin Audrey Mika (Armacost) zu tun, die in den Liner Notes sowohl als Sängerin als auch als Songwriterin – neben anderen – genannt wird. Sie treibt sich hauptsächlich auf TikTok herum, wo sich auch Schnipsel der drei Songs finden, von denen wir hier jenen nehmen, der den J-Namen praktischerweise auch gleich im Titel trägt (und Heimwerker bei der Arbeit zeigt). Nur nicht zu viel G’scher.

Sucht man im Netz nach „ABandCalledJohn“ findet man – neben den drei Songs – diese knappe Info: „JOHN is a music collective that formed in 2024. We compiled a bunch of new songs and will share them throughout 2025. Welcome.“
Gut. Damit geben wir uns vorerst einmal zufrieden. Fortsetzung folgt (vielleicht)…

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Vage Spuren eines geglückten Lebens: "A Wonderful Life" von Tom Odell (Urok / Virgin)

Wie ein etwas komplexerer James Blunt nuschelt sich Tom Odell durchs wundervoll doppelgleisige Leben, bevor er in einen herzzerreißenden Diskant ausbricht, wenn von der Kirchturmspitze her Unheil droht...