Das Genie offenbart sich
Frankie Cosmos präsentieren sich auf dem sechsten Longplayer „Different Talking“ als echte Band und erstmals definitiv so gut, wie man sie potentiell schon länger gesehen hat.

Frankie Cosmos: Different Talking (Sub Pop)
Eine geraume Zeit schon schwirren Frankie Cosmos als veritables Versprechen durch die höheren Sphären des Indie-Pop-/Rock-Universums.
Ein Versprechen allerdings, das bisher noch nicht restlos befriedigend eingelöst wurde: Irgendwie ahnte man in ihren hübschen, wendigen Song-Miniaturen einen Himmel aus großen Melodien, klugen Texten, quirligen Gitarren und dem immerfrischen Charme von Frauengesang mit jungmädchenhafter Anmutung.
Ein halt- und belastbares Zusammenwirken der einzelnen Teile haben bislang fünf FC-Longplayer allerdings öfters noch vermissen lassen.
Nun aber haben wir „Different Talking“.
Vom Ein-Frau-DIY-Projekt zur echten Band
Frankie Cosmos war zunächst nicht mehr als ein Synonym für die New Yorker Sängerin, Gitarristin und Songschreiberin Greta Kline, einer nachgerade archetypischen Vertreterin des DIY*-Ethos, demzufolge die Kreation, Produktion und der Vertrieb der Musik aus einer Hand – dem Klischeebild zufolge idealerweise direkt aus dem häuslichen Schlafzimmer – erfolgt. Bei Kline wirkt dieses Ethos insofern noch immer eindrücklich nach, als sie bis heute auf einen Manager verzichtet.
Der Moniker Frankie Cosmos ist eine Kopfgeburt ihres ehemaligen Lebensabschnittspartners Aaron Maine, in dessen Band Porches Kline für eine Weile den Bass bedient hat. Das Ein-Frau-Projekt ist indessen
über die Jahre zu einem echten Band-Organismus gewachsen, in dem Kline als Sängerin, Autorin und profilierte Gitarristin den Ton angibt, für dessen gedeihliches Wachstum das Engagement und die Beiträge von Mitmusikern aber unabdingbar sind.

Diese Besetzung nahm „Different Talking“ auf: Greta Kline, Katie von Schleicher, Hugo Stanley, Alex Bailey (© Pooneh Ghana)
Bei „Different Talking“ ist der Band-Charakter ausgeprägt wie noch nie. Für etwas mehr als einen Monat schloss sich Kline mit ihren Begleiter/innen Alex Bailey (Bass), Katie Von Schleicher (Keyboards), Hugo Stanley (Drums) und ein paar Mäusen als uneingeladener Gesellschaft in Upstate New York in einem Haus, dessen Wohnzimmer flugs zum Studio umgebaut wurde, ein, um zusammen zu kochen, essen, fernsehen, spielen und Musik zu machen.
Eine externe Kraft für die Produktion wurde als überflüssig erachtet, das übernahmen die vier gemeinschaftlich.
Das Ergebnis ist eine vielseitige Platte mit unterschiedlichen Vektoren, die letztlich auf zwei Pole zusteuern. Einer davon führt über zügigen Power-Pop in eine sehr ökonomisch dosierte Dynamik, der andere mit der Resignation der Erkenntnis in eine milde Melancholie, der nichts Depressives innewohnt, sondern eine leise lächelnde Einsicht in die Unvollkommenheit der Welt.
17 kurze Songs, gerammelt voll mit Ideen und Inhalt
Gleich die ersten zwei Songs repräsentieren auf höchster Stufe die unterschiedlichen Richtungen: Das schnelle „Pressed Flower“ weckt Erinnerungen an das famose, leider recht kurzlebige britische Power-Pop-Gitarren-Quartett Veronica Falls; im nachfolgenden, moderateren „One Of Each“ wird viel vom abgeklärt-lebensweisen Ton transportiert, der die gleichfalls britische, gleichfalls exzellente, aber viel keyboard- und elektroniklastigere Formation St. Etienne charakterisiert.
In 17 Songs, von denen fünf nicht einmal 2 Minuten lang sind und deren längster mit 2:44 zu Buche steht, werden musikalische Kabinettstücke mit mäandernden Inhalten am hier tatsächlich legitim strapazierten laufenden Band präsentiert.
Das anfangs gedämpfte „Bitch Heart“ braust unvermittelt zu einem Wirbelsturm auf, während lauschige psychedelische Lüfterl „Against The Grain“ und „Porcelain“ durchziehen und „Vanity“ ein Wunderwerk an hymnischem Pop-Belcanto darstellt.
In „Margareta“ tritt Kline mit ihrer Gitarre in Dialog mit sich selbst (oder mit Bailey, der bisweilen auch in sechs Saiten greift) und kommt auf diese Weise in die Fahrwasser großer New Yorker Bands wie Luna oder die späten Television.
„Joyride“ wiederum endet mit jenem in die Tiefe schleifenden Geräusch, das elektronische Aufnahmegerätschaft bei unsachgemäßem oder unbeabsichtigten Herunterfahren macht – als sei der Bandmaschine der Saft ausgegangen.
Der nicht unmaßgebliche Rest sind animierte Gitarren-Keyboards-Interaktion mit bisweilen ineinandergreifenden Teilen und eine sehr kompakt und sicher wirkende Rhythmus-Achse.
Wie die Zeit vergeht und wie das Zeitvergehen erlebt wird
Thema von „Different Talking“, der ersten Platte, die Kline (Jg. 1994) mit einem Dreier an erster Stelle ihrer Altersangabe herausscheibt, ist das Vergehen der Zeit, die Änderungen, die es mit sich bringt und – recht umfassend erörtert – wie man sich dazu verhält.
Zum Beispiel, in dem man über alles matschkert, was an früher regelmäßig frequentierten Stätten heute alles anders ist. Oder aber indem man bewusst reflektiert, dass andere Menschen solche Änderungen anders aufnehmen können beziehungsweise die veränderten Umstände durchaus goutieren könnten.
So konzediert Kline im letzten Song, nachdem sie ihrer Unzufriedenheit mit dem aktuellen Zustand einer einstmals vertrauten Stadt Ausdruck verliehen hat: „Not everybody wants what I want / Not everybody’s thoughts are my thoughts / And my loss isn’t everybody’s loss“.
Das wird am Ende sogar noch neckisch, wenn sie den Sonnenuntergang und ein offensichtlich besonders verführerisches rosa Licht bewundert: „It’s sunset here / What’s it for you? / How’d they get the pink light to / Come out like that?“
Selbstironie ist fraglos eine Stärke der Greta Kline. „One! Grey! Hair!“ singt sie genauso wie der Titel interpunktiert ist: Indem sie jedes Wort einzeln und verstärkt durch die Rhythmus-Sektion betont, und damit die Hysterie, die solchen Entdeckungen üblicherweise Gewehr bei Fuss folgt, der Lächerlichkeit preisgibt.
*DIY: Do it yourself

Frankie Cosmos: Different Talking (Sub Pop)
„Different Talking“ atmet eine milde Melancholie, die nichts Depressives an sich hat.