Das traurige Ende eines Pioniers

Sly Stone, Wegbereiter des Funk und Grenzüberschreiter zwischen schwarzer und weißer Musik, ist in Los Angeles gestorben.

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10. Juni 2025

SLY Stone bei einem Comeback-Auftritt 2007 (© Wikipedia / Simon Fernandez)

Zieht man vom faktisch korrekt als legendär bezeichneten Woodstock-Festival die Legende, also den nostalgisch verklärten Teil, ab, bleiben womöglich nicht mehr viele genuine Höhepunkte: Richie Havens, der seinen Auftritt zum Auftakt wegen organisatorischer Pannen strecken musste (wenn auch nicht, wie oft kolportiert, auf drei Stunden Länge). Jimi Hendrix am anderen Ende, der vor einem malerischen Szenario aus Schlamm und Müllbergen und darin versprengt den letzten Publikumsresten die amerikanische Hymne als apokalyptisches Inferno zelebrierte.
Und mittendrin, in der Nacht vom zweiten zum dritten Tag in strömendem Regen, der energetische Set von Sly And The Familiy Stone.

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Allen drei Acts gemein ist, abgesehen von der afroamerikanischen Herkunft der Protagonisten, ein erheblicher Impact auf die Entwicklung der Pop-Musik. Hendrix´ Einfluss auf Hard Rock, Heavy Metal und nicht zuletzt Noise – und Psychedelic Rock muss hoffentlich nicht näher erläutert werden. Havens öffnet mit seiner Mischung aus Folk und Soul Singer-Songwritern wie Bill Withers die Spur, nimmt (für mich jedenfalls) mit seinem perkussiven Gitarren-Stil und improvisierten Chants aber auch Rap-Pioniere wie die Last Poets vorweg.
Und Sly & the Family Stone haben gleich in mehrerlei Hinsicht Pionierarbeit geleistet.

Zum einen firmiert der 1943 als Sylvester Stewart geborene Sänger, Songschreiber und Multi-Instrumentalist Sly Stone neben James Brown als der maßgebliche Wegbereiter des Funk, jener basslastig-rhythmusbetonten, ursprünglich aus dem Jazz kommenden Spielart des Soul und R&B, die zum unverzichtbaren Treibstoff für praktisch alle Innovationen in der Schwarzen Musik von Disco über House bis HipHop werden sollte.

Zum anderen aber machte der Texaner Stone ernst mit Integration: In seiner Mitte der 60er Jahre in San Francisco gegründeten Formation Sly And The Family Stone trugen Männer wie Frauen, Schwarze wie Weiße instrumental wie vokal zum Gelingen des Ganzen bei.

Sly (2. v.l.) And The Family Stone 1968 (© frei)

Das Ergebnis war eine Mischung aus Funk und aufgekratztem Pop mit stringenter Rhythmik und ineinanderfließenden Gesangs-Parts, die sich trotz psychedelischem Einschlag und sozialen Topics in einigen Texten fröhlich, bisweilen fast kinderliedartig anhörte.
Top-Ten-Hits wie „Dance To The Music“, „Everyday People“ oder „Thank You (Falettinme Be Mice Elf Agin)“, verbal eine Verballhornung von „thank you for letting me be myself again“, dokumentieren diese Pionierphase Ende der 60er Jahre, die enormen Einfluss auf die Musik von Prince, Earth, Wind & Fire und andere Interpreten hatte, die bewusst versucht haben, die Trennung zwischen schwarzer und weißer Musik aufzuheben.

Mit dem Album „There´s A Riot Goin´On“ enterten Sly And The Family Stone thematisch dunklere, von den Rassenkonflikten in den USA, aber auch Enttäuschung über die Gegenkultur geprägte Sphären, während die Musik nun stärker Richtung Funk ging und sich auch Einflüssen des Jazz öffnete.
Obwohl in jeder Hinsicht komplexer als alles, was die Band bis dahin veröffentlicht hatte, erreichte das Album wie auch die daraus ausgekoppelte Single „Family Affair“ Platz 1 der US-Billboard-Charts.

Von nun an ging´s bergab

Das nächste Album „Fresh“ (1973) performte kommerziell noch einmal so halbwegs (#7 in den BB-Charts) und wird heute als eines der besten Funk-Alben aller Zeiten anerkannt.
Danach ging´s allerdings mit den Plattenverkäufen rapide bergab.

Der Abwärts-Trend hatte sich mit Stones ausuferndem Kokain-Konsum schon länger angekündigt. Auf das Erscheinen des launischen Stars bei Konzerten, geschweige denn Presseterminen war nicht länger mehr Verlass – in der Folge cancelten Konzertveranstalter ihrerseits gebuchte Termine.
Die finanzielle Situation der Band wurde rasch prekär und Stones wichtigste Mitstreiter sprangen ab – oder wurden gefeuert wie Larry Graham, der die Technik des Slap Bass, des mit dem Daumen geschlagenen E-Basses, in die Populärmusik eingeführt hatte.

Irgendwann gegen Ende der 70-er Jahre starben Sly And The Family Stone eines unauffälligen Todes und als Solist konnte ihr Frontmann nicht mehr annähernd an frühere Erfolge anknüpfen.

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Mehr als ein Jahrzehnt vor Prince:  Sly And The Family Stone mit dem Hit „Thank You (Falettinme Be Mice Elf Agin)“

Der Rest der Geschichte besteht aus einer gescheiterten Ehe, Konflikten mit dem Gesetz wegen Drogenbesitzes, Bankrotterie und erfolglosen Comebackversuchen. Stone wurde, wie etwa auch Loves Frontmann Arthur Lee, zum tragischen Beispiel eines großen Musikers, der seinen Lebensabend in miserabler wirtschaftlicher und gesundheitlicher Verfassung verbringen musste.
Gestern (9. Juni) hat sein von Jahren des Drogenmissbrauchs und einer chronischen Lungenkrankheit angegriffener Organismus den Dienst quittiert. Sly Stone wurde 82 Jahre alt.

 

SLY Stone bei einem Comeback-Auftritt 2007 (© Wikipedia / Simon Fernandez)

Fröhlich, aufgekratzt, bisweilen fast wie Kinderlieder hören sich die frühen Hits wie „Dance To The Music“ oder „Everyday People“ an.