Februarregen im Sommer

Was man in diesem Jahr bisher nicht überhört haben sollte: Musik von Annahstasia, Divorce, Jenny Hval, Little Simz, Stella Sommer und Wet Leg (Reprise 1).

Von
26. Juli 2025

Topact des Sommers und zu voller Band angewachsen: Wet Leg (c) alice backham

Whith a little help from my friends – doch nein, es geht im Folgenden nicht um die Beatles, und auch nicht um Joe Cocker, sondern um die britische Band Divorce. Auf diese bin ich nämlich durch einen Freund gestoßen (und der wiederum durch einen anderen Freund…). Und für diesen Hinweis bin ich sehr dankbar, denn das Quartett aus Nottingham, das sich selbst als „Wilco meets Abba“ charakterisiert, ist mehr als hörenswert und eine der Entdeckungen des bisherigen Jahres.
Nach zwei EP’s hat es heuer, im März, sein Debütalbum „Drive To Goldhammer“ herausgebracht, eine kleine Wundertüte, die neben den genannten Bezugsgrößen noch ein Vielzahl an Referenzen aufweist, zu denen u.a. Perfume Genius, Queen oder auch die Magic Numbers zählen. Von Turbo-Folk über Indie-Pop, Alternative-Country bis zu schrägen Experimentalklängen reicht das Spektrum dieser erstaunlichen Gruppe, deren Hauptmerkmal freilich der stimmlich kontrastreiche Zwiegesang ihres Frontduos (bestehend aus Felix Mackenzie-Barrow und der non-binären Tiger Cohen-Towell) ist. Und dieser erblüht gleich exemplarisch in der Eröffnungsnummer des Albums, im gar nicht unterkühlten Song „Antarctica“.

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Genauso wenig überhören wie Divorce sollte man heuer die in Los Angeles beheimatete Sängerin Annahstasia, die im Frühsommer – ebenfalls nach zwei vorangegangenen EP’s – ihr Debütalbum „Tether“ veröffentlicht hat, das nicht von ungefähr vom einflussreichen Online-Magazin Pitchfork in der Kategorie „Best New Music“ geführt wurde. Wirklich neu ist es freilich nicht, was Annahstasia Enuke, wie die nigerianisch-amerikanische Musikerin (die sich ebenfalls als queer outete) mit vollem Namen heißt, zum Besten gibt (das dafür wahrlich), eine Mischung aus Folk, Soul und Poesie, das allerdings mit einer einzigartigen, enorm ausdrucksstarken Stimme, wie etwa der Song „Villain“ bezeugt, live aufgenommen bei einem-Auftritt bei der BBC.

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Mit einer ebenfalls ziemlich einzigartigen, freilich ganz anders gearteten, schriller-eindringlicheren Stimme ausgestattet ist die norwegische Singer/Songwriterin und Autorin Jenny Hval, die heuer mit „Iris Liver Mist“ ihr bereits siebentes Soloalbum (unter eigenem Namen) herausgebracht hat, von dem der Song „To Be A Rose“ – in einer für Hval typisch zurückgenommenen Melodramatik, musikalisch irgendwo zwischen Kate Bush und Laurie Anderson angesiedelt – am ein- & nachdrücklichsten hängen bleibt.

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Sollte der heurige Sommer noch einmal ordentlich heiß werden, empfiehlt sich der Rückgriff auf einen Song, oder besser ein (Kunst-)Lied von Stella Sommer aus den frühen Tagen dieses Jahres: „Im kalten Februar Regen“ heißt es – und stammt von der EP „Alles, was ich je geträumt hab“, auf dem die gebürtige Hamburgerin ihre einstige Band Die Heiterkeit noch einmal als Solounternehmen reanimiert hat. Heiter oder gar sommerlich ist bei der nunmehrigen Wahlberlinerin freilich wenig bis kaum etwas – dafür aber umso poetischer und wohlig melancholisch.

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Was für den leider völlig in erratischer Versenkung verschwundenen Frank Ocean, mit Einschränkung auch für Kendrick Lamar – das gilt uneingeschränkt für die in London ansässige Sängerin, Rapperin und Schauspielerin Simbiatu Abisola Abiola Ajikawo (auch sie hat nigerianische Wurzeln) aka Little Simz: dass sie nämlich HipHop auch für Leute (hörbar) macht, die HipHop nicht mögen.
Das zeigten schon alle ihre bisherigen Veröffentlichungen, aber ganz besonders ihr heuer, Anfang Juni erschienenes Album „Lotus“, das mit einer (fast wörtlich zu nehmenden) unerhörten Stilvielfalt glänzt. Inhaltlich voller Selbstzweifel, trumpft diese Platte mit einem grandiosen musikalischen Selbstbewusstsein auf (für viele HipHop-Künstler gilt ja eher das Umgekehrte). Als ein Beispiel von vielen mag der Titel „Lonely“ dienen, eingebettet in einen souligen Hallraum bester Tradition & Machart.

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Und auch nicht überhören – aber das gelingt bei deren aktueller Dauerpräsenz und -rotation sowieso kaum jemandem – sollte man das zweite Album der Topstarter dieses Pop- & Rocksommers, der mittlerweile zu voller Bandgröße angeschwollenen britischen Formation Wet Leg („Moisturizer“). Vor drei Jahren noch als Girlduo gestartet (mit Sängerin Rhian Teasdale und Gitarristin Hester Chambers), ist nun dreifache männliche Unterstützung hinzugekommen, was den Sound, der mir beim Debüt(album) noch eher eingeschlafene Füße bescherte, nun ordentlich (punk-)rockig forciert und zugespitzt hat. Auch wenn bei der Einstiegsnummer des Albums, „CPR“, eindeutig die Frauen das Steuer in der Hand halten – und die drei weggetreten wirkenden Herren nur als langmähnige Headbanger fungieren …

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Topact des Sommers und zu voller Band angewachsen: Wet Leg (c) alice backham

Divorce, das Quartett aus Nottingham, das sich selbst als „Wilco meets Abba“ charakterisiert, ist mehr als hörenswert und eine der Entdeckungen des bisherigen Jahres.