Gequälter Genius
Ein Großer, der hierzulande seitens „progressiver" Hörerkreise nie die gebührende Anerkennung gefunden hat. Ein starker Auftritt in der Oper mit starkem Abgang: Ein paar eigentümliche Gedanken zum Tod von Brian Wilson.

Brian Wilson 2004 bei einer Live-Aufführung des „Smile“-Albums (Screenshot)
Ich muss wieder einmal persönlich werden: Augenblicke bevor ich Kenntnis von seinem Tod erlangte – das war am Dienstag (11.6.) um ungefähr 21.30 Uhr, davor habe ich Nachrichtenquellen strikt gemieden – habe ich an Brian Wilson gedacht.
Anlass war Grant Lee Buffalos feierlich-pathetische Version des frühen Beach Boys-Hits „In My Room“, die ich zufällig gerade abspielte.
Ich dachte daran, dass Brian Wilson diesen Song 2007 bei seinem beeindruckenden und sehr souverän wirkenden Auftritt in der Wiener Staatsoper gegeben hatte; dann dachte ich, wie man sich halt so assoziativ an einem Thema entlanghangelt, an das erstaunlich gute Beach Boys-Comeback-Album „That´s Why God Made The Radio“ von 2012 mit BW als treibender Kraft und Lead-Sänger der meisten Stücke und dass es mit „Summer´s Gone“ den schönsten traurigen Das-war´s-mit-dem-Sommer-Song neben „Summer´s Almost Gone“ von den Doors enthält.
Dann öffnete ich die „blaue Seite“ des ORF und erfuhr, dass Brian Wilson, der geniale kreative Kopf der Beach Boys, im Alter von 82 Jahren gestorben ist.
Es muss angesichts seiner Lebensgeschichte, die die längste Zeit auch eine Leidensgeschichte war, als einigermaßen kurios vermerkt werden, dass Brian Wilson seine Brüder und Band-Kollegen Dennis (1983 im Alter von 39 Jahren ertrunken) und Carl (1998 mit 51 einem Krebs erlegen) deutlich überlebte.
Es kann nun im Folgenden nicht darum gehen, die Statistiken und bekannten biographischen Eckdaten herunterzubeten, die bei den Beach Boys zu Buche stehen, die Serie von Surf-Hits in den frühen Jahren, die konfliktreiche Hinwendung zu komplexerer Musik Mitte der 60er, die künstlerische wie kommerzielle Rivalität mit den Beatles, insbesondere Paul McCartney. Dass „Pet Sounds“ als eine der besten LPs der Pop-Geschichte gilt.
Oder die vielen Schnurren: Dass Brian Wilson Wassersport und Meer mied, sich aber zur Strandgefühlsvertiefung Sand ins Wohnzimmer aufschütten ließ. Oder dass er für die Produktion des sagenumwobenen, in geplanter Nachfolge zu „Pet Sounds“ 1966/67 zusammen mit Texter Van Dyke Parks kreierten, letztlich aber erst 2011 in einer rekonstruierten Fassung auf einem Box-Set veröffentlichten Albums „Smile“ die Musiker angewiesen haben soll, im Studio Feuerwehrhelme zu tragen und ein Feuer zu legen.
Vom Vater gezeichnet fürs Leben
Erwähnt werden muss fraglos der unselige Einfluss des übermäßig strengen und ehrgeizigen, gewalttätigen Vaters Murry Wilson, der keinem seiner Söhne gut tat, was sich bei Brian aber besonders fatal auswirkte. Seine fast vollständige Taubheit am rechten Ohr wird – wiewohl von Wilson in seiner Autobiographie mit einen Unfall beim Spielen mit einem Nachbarskind begründet – gemeinhin auf einen väterlichen Schlag auf den Kopf zurückgeführt.
Psychische Krankheiten, der Rückzug von öffentlichen Auftritten schon Mitte der 60er Jahre und die Disposition zu schwerer Drogensucht waren mittelbar weitere Folgen des Drills. In Form fragwürdiger Therapeuten und „Berater“ sowie seines langjährigen Band-internen Widerparts Mike Love fand das Spalier der inferioren Lebensbegleiter um Brian Wilson eine unheilvolle Ergänzung.
Zu vermerken ist auf jeden Fall auch, dass die Beach Boys und mit ihnen auch Wilson als Komponist, Produzent und Arrangeur, hierzulande außerhalb von Kritikerkreisen nie die Anerkennung gefunden haben, die ihnen popgeschichtlich zusteht.
Oft ist ihre Musik gerade von dem Typus Hörer, der auf seine „Progressivität“ zu halten pflegt, pauschal als „simpel“ verworfen worden. Das liegt zum einen an einer ignorant auf die frühen Hits wie „Surfin‘ USA“, „Barbara Ann“ oder „California Girls“ konzentrierten Rezeption, die nichts von den viel komplexeren Arrangements in den späteren 60ern und frühen 70ern weiß oder wissen will.
Zum anderen schätzt besagte Progressive-Rock-Klientel, die viel zur Rufschädigung der Beach Boys beigetragen hat, instrumentale Virtuosität (oder was sie sich dafür vormachen lässt) viel mehr als die Feinheiten und Kunststücke im Arrangieren mehrerer menschlicher Stimmen.
Nie zu irgendwelchen Trends gepasst
Und dann haben die Beach Boys – irgendwie unglücklicherweise – auch nie zu irgendwelchen Trends gepasst. Es gab zum Beispiel keine Nische in der New Wave und nicht bei späteren Entwicklungen, die zu einer aktuellen Wiederentdeckung hätte führen können – sehr im Unterschied etwa zu ihren zeitgenössischen Konkurrenten The Byrds, denen (zu Recht) ein massiver Einfluss auf die Indie-Gitarren-Musik speziell der 80er Jahre eingeräumt wird.

Brian Wilson 2012 (© Takahiro Kyono / Wikipedia)
So bleibt den Beach Boys – darin allerdings nur von den Beatles konkurriert – die flächendeckende Verehrung durch andere Musiker und Brian Wilson der Nimbus eines der drei bis fünf größten Songwriter der Pop-Geschichte. Egal wie seine intellektuellen Dispositionen ausgesehen haben mögen.
Ein Anfang 1989 publizierter Artikel in der Zeitschrift „Spex“, dem langjährigen Zentralorgan des kritischen deutschen Pop-Journalismus, zeichnet von Brian Wilson kein übertrieben schmeichelhaftes Bild. Als illiterat und ignorant gegenüber (aktuellen, sogar historischen) musikalischen Entwicklungen wird er hier dargestellt (und dass Wilsons genialen Melodieeinfällen nur limitierte Fähigkeiten als Texter gegenüberstanden, scheint sich in dieses Bild zu fügen).
Im Gespräch mit dem Journalisten und Musiker Detlef Diederichsen driftet Wilson denn auch tatsächlich öfter ab, verliert die Erinnerung und präsentiert sich rundherum als einer, der nicht besonders viel von der Welt mitbekommt.
Man muss hier allerdings dazusagen, dass alles das angesichts von Wilsons langer und schwerer Krankheitsgeschichte, die in jahrelanger Arbeitsunfähigkeit und Suizidgedanken kulminiert hatte, nicht besonders verwunderlich erscheint.
Und dass Wilson, der gerade sein erstes Solo-Album herausgebracht hatte, damals – geistigen Höhenflügen auch nicht förderlich – voll unter der Kuratel des windigen Psychologen Eugene Landy stand (von dem er sich ein paar Jahre später befreite).
Ein ganz anderes Bild als in dieser „Spex“-Geschichte vermittelte Brian Wilson 2007, als er – meines Wissens nach das erste Mal – anlässlich des Jazzfests in Wien in der Oper gastierte: Intelligibel, engagiert und, obwohl fast ausschließlich im Sitzen agierend, durch seine expressive Gestik und schiere Präsenz recht charismatisch. Zwischen den Songs erzählte er viel Aufschlussreiches über deren Entstehungsgeschichten und skizzierte diese am Klavier durch Akkordfolgen, Leitmotive und ähnlich tragende Bausteine. Dass er sich meist auf Deutsch bedankte, ließ erkennen, dass er – nicht selbstverständlich bei amerikanischen Acts – wusste, wo er war.
Und dass er „God Only Knows“ als „my very favourite song I ever wrote“ ankündigte, wirkte auch weniger wie eine verrückte Übertreibung denn eine kokette Ironie.
Brian Wilson 2017 in Basel
Eine schöne Überraschung gab es am Ende. Denn als allerletzte Zugabe stand keiner der großen Hits auf dem Programm – die waren schon alle gespielt -, sondern „Love And Mercy“, der Opener seines unbetitelten Solo-Debüts: „Love and mercy, that’s what you need tonight / So love and mercy to you and your friends tonight.“
Ein im wahrsten Wortsinn frommer Wunsch angesichts dessen, was auf der Welt alles schief läuft. Und ein Beleg, dass Brian Wilson unter bestimmten Umständen doch auch ein guter Texter sein konnte.

Brian Wilson 2004 bei einer Live-Aufführung des „Smile“-Albums (Screenshot)
Es muss angesichts seiner Biographie als einigermaßen kurios vermerkt werden, dass Brian Wilson seine Brüder und Band-Kollegen Dennis und Carl deutlich überlebte.