TANZBAR

Unterschiedlichste Musikstile auf die Böden der Discos und Clubs zu bringen, ist die historische Leistung von Hot Chip. Eine gut kuratierte Kompilation macht bewusst, was man an dieser wegweisenden britischen Formation hatte und hat.

Von
14. September 2025

Hot Chip: Joy In Repetition /Domino)

Können Sie sich erinnern? Anfang der 90er-Jahre hatten, um den großen, früh verstorbenen Radio-Moderator, Label-Betreiber und Produzenten Werner Geier sinngemäß zu zitieren, zeitgemäße oder aus der Zeit gefallene Acts im Musik-Business nur eine Chance: Sich den Hintern abzutanzen.
Rave (nicht als Event-Typ, sondern als Pop, Rock und Psychedelia mit perkussiver Rhythmik verbindender Musikstil), House, HipHop, Techno waren die Trends der ein, zwei Jahre dauernden Stunde, bis Grunge eine neue Rocksau durchs globale Dorf trieb.

Damals vergaben pflichtbeflissene Kritiker gerne als Adelsprädikat, geradezu als Apotheose, das Prädikat TANZBAR. Jegliche Musik mochte sie auch … (schwierig, seicht, zerfahren, verrückt – was immer) … sein, war absolutiert, wenn TANZBAR.

For privacy reasons YouTube needs your permission to be loaded. For more details, please see our Datenschutzerklärung.

Und was zeichnet Hot Chip aus? Sie vermischen und integrieren alles Mögliche, Pop, Techno, Soul, House, Rock, den einen oder anderen Schuss Psychedelia und, was kaum noch erwähnt worden ist und Sie daher hier mehr oder weniger exklusiv erfahren, ziemlich viel Krautrock, waren, blieben und sind dabei aber immer TANZBAR.

Maßstäbe gesetzt

Hot Chip sind eine der nicht wirklich inflationär vielen Bands, die in der Pop-Musik dieses Jahrtausends Maßstäbe gesetzt haben. Mochten Ensembles wie LCD Soundsystem oder !!! ähnlich aufsehenerregende Fusionen von Pop, Electronica und Dance-Appeal kreiert haben, so waren Hot Chip jedenfalls universeller und vor allem wesentlich konsistenter und ausdauernder.
Auf acht LPs haben sie es mittlerweile gebracht, von denen es sechs zuhause im UK in die Top 20 geschafft haben.

Sie sind – solo oder im Kollektiv – gefragte DJ-Acts und Remixer. Ihre Gründer, Sänger und Hauptsongschreiber Alexis Taylor und Joe Goddard haben zahlreiche Alben unter eigenem Namen oder in alternativen Formationen veröffentlicht, wobei der Gitarrist und Keyboarder Taylor eine verblüffende Bandbreite zwischen Pop, Rock, Jazz und experimenteller Elektronik offenbart hat. Einen Beitrag zu einem 2024 erschienenen Hommage-Album an die Krautrock-Band Neu!, die Hot Chip ziemlich stark beeinflusst haben dürfte, hat er sogar halb auf Deutsch intoniert.

For privacy reasons YouTube needs your permission to be loaded. For more details, please see our Datenschutzerklärung.

Goddard, der die Synthesizer bedient und mit seinem dunkleren Organ Taylors Chorknabenstimme wirkungsvoll kontrastiert, bleibt bei seinen solistischen Ausflügen stilistisch wesentlich näher beim Mutterschiff.

Gitarrist Al Doyne, dessen Einfluss über die Jahre spürbar gewachsen ist, hat zwischendurch bei LCD Soundsystem gespielt, ist aber gerne wieder in den Heimathafen zurückgekehrt. Längst ist er ebenso fixes Bandmitglied wie Bassist und Gitarrist Owen Clarke und Felix Martin, der Synthesizer sowie Drums & Drumcomputer bedient.

Dass Hot Chip an vielen Fronten aktiv waren und irgendwie dauerpräsent schienen, konnte zwischenzeitlich schon einmal zu einer gewissen Übersättigung führen – ein nahezu unvermeidlicher Effekt, der sich für eine Weile selbst bei den Talking Heads nach „Remain in Light“ und der Byrne/Eno-Kooperation My Life The Bush Of Ghosts“ eingestellt hat.

Hot Chip begannen als Duo, sind aber heute eine richtige Band: Felix Martin, Alexis Taylor, Al Doyle, Owen Chark, Joe Goddard (© Louise Mason)

Drei Jahre Pause seit der letzten, reizvoll disparaten und stellenweise ziemlich ruppigen HC-LP „Freakout/Release“ haben indes Distanz hergestellt.
Und nun macht eine kürzlich erschienene Werkschau mit dem Titel „Joy Of Repetition“ nachhaltig bewusst, was man an Hot Chip hatte und hat.

Kein „Best of“, sondern eher ein „Best loved“

„Joy In Repetition“, nach einem Song von Prince betitelt, ist, wie der Waschzettel der Plattenfirma (Domino) nahezulegen versucht, weniger ein Best of, sondern mehr ein Best loved.

Nicht strikt chronologisch geordnet, aber stimmig kuratiert, stellt die Kompilation alle kontradiktischen Qualitäten aus, die Hot Chip ausmachen: Vielfalt und dramaturgische Disziplin. Bescheidenheit und hohe Ansprüche, bisweilen sogar auf ein und die selbe Zeile komprimiert: „I only wanna be your one life stand“.
Hedonismus und kritische Intelligenz.
Ausbrechen aus Suchtgewohnheiten, Obsessionen, Positivität; die Kraft, die Musik und das Zusammensein mit anderen Leuten vermitteln“, benannte Alexis Taylor in einem unter Zeitdruck zustandegekommenen E-Mail-Interview, das ich 2019 für die „Wiener Zeitung“ mit ihm geführt hatte, als einige Themen, die Eingang in seine Texte finden.

For privacy reasons YouTube needs your permission to be loaded. For more details, please see our Datenschutzerklärung.

Ja, und nicht zuletzt ist da imagemäßig ein wunderbarer Widerspruch: Hot Chip sind substanziell der Inbegriff einer coolen Band, tun aber nicht das Geringste dazu, sich wie eine zu gerieren.
Taylor sieht aus wie ein Beamter oder Forscher, der beleibte Goddard und der nur noch unter dem Kinn einigermaßen flächendeckend behaarte Doyle präsentieren sich sowieso als personifizierter Alptraum von Selbstoptimierungs-Apologeten.

Der Verzicht auf Rockstar-Mimikry und auch auf inhaltliches Macho-Gehabe hat die Band sehr populär bei der queeren Community gemacht, obwohl der oft als Schwulen-Ikone verkannte Taylor, Goddard und Doyle verheiratete Familienväter sind.
Die Zeile „You´re my number one guy“ im Grammy-nominierten HC-Klassiker „Ready For the Floor“ von 2008, der „Joy In Repetition“ eröffnet, hat ihren beträchtlichen Teil zu dieser Konnotation beigetragen.

© Louise Mason

Von diesem Hit aus, der mit seinem seriell-hypnotischen, House-artigen Beat vielleicht am bündigsten repräsentiert, wofür Hot Chip und das „Repetition“ im LP-Titel stehen, spannt die Kompilation einen ansehnlichen Bogen über den Werdegang der Band von Schlafzimmer-Produktionen auf große Festival-Bühnen: Von den frühen Hits „Boy From School“ und „Over And Over“ über dynamisch heruntergebretterten Elektonik-Pop („Huarache Lights“) und Sample-bereichertem Disco-Beat („Need You Now“) bis zu „Eleanor“, das wie eine rundere Variation von „Without A Crutch“, einem von Taylors profiliertesten Solo-Songs, anmutet und als eine Art Ruhe-Oase in „Freakout/Release“ eingebettet ist.
Der allerletzte Song der Kompilation ist erst heuer als Single veröffentlicht worden und auf keiner anderen LP enthalten: „Devotion“, ein beseelter Up-Tempo-Track mit wunderbar fließenden Synthi-Teppichen, burlesken Einlagen und leichtem Gitarren-Echo, ist eine Hymne an die Freude des Musikmachens und des gegenseitigen Vertrauens.

For privacy reasons YouTube needs your permission to be loaded. For more details, please see our Datenschutzerklärung.

Bei aller musikalischen Offenheit gibt es für Alexis Taylor doch auch stilistische Ambitionen, die er (noch?) nicht mit Hot Chip verwirklichen konnte. „Ich versuche immer wieder, mehr Reggae-Einflüsse durchzusetzen – und scheitere.
Welche Musik er selbst nicht spielen kann oder will? „Ich mag Britpop nicht, kann mangels entsprechender Fähigkeiten keine Musik aus der klassischen, barocken und romantischen Ära machen und habe eine Aversion gegen zu niedliche Indie-Musik.“

Hot Chip: Joy In Repetition /Domino)

Hot Chip sind substanziell der Inbegriff einer coolen Band, tun aber nicht das Geringste dazu, sich wie eine zu gerieren.