Wienmusik
Tanzen am Vulkan, Botschaften an Außerirdische, Feste feiern und ein bisschen Lebensermüdung: Exzellentes aus heimischer Produktion von Belle Fin und Das Schottische Prinzip.

Belle Fin und Das Schottische Prinzip © Justyna-Belfin-Wisniewski, Yuki Gaderer
Auf dem Label Bader Molden Recordings hat in jüngerer Vergangenheit neben klassischer Liedermacherei eine Nische Quartier bezogen, für die eine gleichermaßen griffige wie auch richtige Definition erst gefunden werden muss.
Gewissenhaft einen Haken um öde Phrasen wie „Entzieht sich allen Kategorien“, „Passt in keine Schubladen“ oder „Setzt sich zwischen alle Stühle“ schlagend, wollen wir festhalten, dass diese Musik auf sehr individualistische Weise sich einerseits im Fundus populärmusikalischer Alltagsidiome – Pop, Rock, Folk – andererseits aber auch spezifischerer Stile wie Jazz, Kammermusik, Chanson und nicht zuletzt der regionalen Volksmusik bedient. Diese Musik ist also stark von der Stadt geprägt, in der sie entstanden ist.
Wienmusik wäre demnach jedenfalls nicht falsch, würde dieses Label („Wien Musik“) nicht schon Walter Gröbchens Plattenfirma Monkey Music mit ihren exzellenten Jahreskompilationen besetzen.
Anna Mabo, hier kürzlich mit ihrer neuen Platte vorgestellt, steht exemplarisch für diese Musik; Belle Fin, die neuerdings auch bei Bader Molden veröffentlichen, tun es auch und würden eine ähnliche Breitenwirkung verdienen.
Bei Belle Fin, die im Kern aus dem Sänger-Songschreiber-Duo Fabian Belfin-Wisniewski (Gitarre) und Robin Ullmann (Trompete) bestehen und im erweiterten Format sehr gut mit den Beiträgen von Matthias Ihrybauer (Klavier & Ziehharmonika), Peter Engel (E-Bass & Kontrabass) und Julian Berann (Schlagzeug) leben, liegt der Reiz ihrer Musik nicht allein in ihrer Stilvielfalt und den damit verbundenen Überraschungsmomenten, sondern auch in ihrer ziemlich eigentümlichen Ausstrahlung.
Troubadoure
Bader-Molden-Co-Chef Ernst Molden, der es sich nicht nehmen hat lassen, die Liner Notes zum neuen BF-Album „Fest“ zu schreiben, sieht in Belfin und Ullmann Troubadoure. Nicht im mittelalterlich-höfischen Sinn, sondern in einer zeitgemäßeren Definition, die etwa auch einen Bob Dylan einschließt. „Troubadour zu sein, ist nichts, was man sich aussucht. Troubadour ist man von Haus aus. Man schleppt sich und seine Songs auf den Marktplatz. Weil man das muss“, schreibt Molden.

Belle Fin: Robin Ullmann, Fabian Belfin (© Justyna Belfin-Wisniewski )
Zwei LPs haben Belle Fin bisher gemacht, das stilistisch versatile „Fremde soll man küssen“ (2018) und das akustisch gehaltene „Aus Ländern“ (2022).
„Fest“ das kürzlich veröffentlichte dritte Album, ist mit seinem locker-unangestrengten Schlingerkurs zwischen Pop, Jazz, Rock, Einflüssen südamerikanischer Musik, Balladen mit Chanson-Appeal und zeitgemäßen Adaptionen des Wiener Lieds wieder eher beim Debüt.
Indessen ist die Musik nun zugespitzter, sind die Kontraste zwischen heftigen und leisen Momenten geschärfter, ist der Impetus dringlicher geworden.
Metaphern & feurige Wahnbilder
Die abwechselnd im Dialekt und Hochwienerisch intonierten, stimmig mit der Musiksprache kongruierenden Inhalte sind, abgesehen von der ziemlich bedrückenden Geschichte einer Frau, deren Leben aus dem Ruder gelaufen ist, Metaphern für unterschiedliche schicksalhafte Zustände und Lebensphasen oder buchstäblich feurige Wahnbilder wie in „Tanz am Vulkan“.
Eine schöne Liebeserklärung an den eigenen Job und an das Publikum leistet „Immer weiter“: „Schaut so aus als müsst ma weiter / schaut so aus als wär ma immer no ned g´scheiter / und es schaut so aus als wär´ ma pleite / is a so, drum spiel´n ma heute / für die schönen Leute“.
Während Belfin die Mehrzahl der Songs schreibt, setzt die Akzente im Sound eindeutig Ullmann: Seine Trompete ist mit allem zur Stelle, was die Musik erfordern mag: Mariachi-Klängen, verrücktem Zirkusgebläse mit fallweisen Abstechern zu den frühen Beirut, fast bösartigen Dissonanzen, oder, wenn´s mehr nach Begräbnis klingen soll, Elegien in Moll.
Von Ullmann stammt aber auch – als seinem einzigem kompositorischen Beitrag zu „Fest“ – der potentielle Renner der Platte, der Song, der der Hit des Sommers hätte werden müssen (und es im nächsten oder übernächsten Sommer immer noch werden kann): Das hier schon gebührend abgefeierte „Donauinsel“, ein fauler, Wiener-Lied-infiltrierter Blues, der plastisch nachvollziehen lässt, wie die Hitze Körper und Geist entschleunigt und fertig macht für „das Grüne im Beton“…
Wendiger, aufgekratzter Indie-Rock mit tollen Inhalten
Auch Das Schottische Prinzip hatte einen Quasi-Sommer-Hit: „Sommer“ heißt er, ist in eben diesem als Single erschienen, berückt insbesondere durch seine Scheiß-drauf-Haltung gegenüber Social Media, und ist auf diesem Portal ebenfalls bereits angemessen gewürdigt worden.
Vorfreude auf das Album „Golden Voyager Record Vol. III“ ist dabei auch geäußert worden – und hat sich nun, da die Platte drei Jahre nach dem formidablen LP-Debüt „Jolly“ erschienen ist, erfüllt.
Gegenteilig zu Belle Fin ist die Musiksprache beim Schottischen Prinzip, das ebenfalls bei Bader Molden veröffentlicht, recht reduziert: Ein zuallermeist von zwei Gitarren, Bass und Schlagzeug getragener, abnützungsresistenter Indie-Rock-Beat pflügt sich wendig und meist etwas aufgedreht mit hübschen Melodien durch rhythmische Brüche, vereinzelte Lärm-Einlagen, Unwegsamkeiten und Untiefen.
Manchmal wird die Gangart etwas gedrosselt und akustische Gitarren übernehmen das Kommando; hin und wieder erweitern auch Keyboards das Klangbild, sehr sporadisch überantworten es die vier Frauen auch der Elektronik.
Verwirklicht wird Das Schottische Prinzip hauptsächlich durch den
Input der Sängerin, Gitarristin und Hauptsongschreiberin Julia Reißner. Das Besondere an ihr ist, dass ihre (ohrenscheinlich) tabakheisere, an Tini Trampler (Playbackdolls) erinnernde Stimme wesentlich älter klingt als die Frau ist (oder sein kann), dabei aber auch die Inhalte mitzureißen scheint.
Ein lebensermüdetes Alles-schon-erlebt, Alles-schon-gesehen, Alles-schon-gehört scheint ihnen zu entströmen, eine Art dekadenter Resignation, die wie in „Dear Investor“ ostentativ Kunst durch Künstlichkeit ersetzt und Kommerz und Warenwelt fetischisiert.
Dieser spontane erste Eindruck ist aber nur die halbe Wahrheit: Es gibt nämlich auch zahlreiche rührende Texte über belastete Freundschaften, Liebe und ihren Verlust, Verrat, Selbstbehauptung.

Das Schottische Prinzip mit Julia Reißner (oben l.) © Yuki Gaderer
In mehreren Szenarien ist die Sprache ein den Aussagen gleichgestellter Mitspieler, so etwa im wunderschönen akustischen „Auerhahn“ oder in „Der Weg“, wo mit einer einfachen Wendung eine althergebrachte Floskel außer Dienst gestellt wird: „Der Weg ist der Weg / Das Ziel ist das Ziel / Der Weg ist nicht das Ziel / Der Weg ist der Weg.“
Bezaubernd auch, wie Reißner eine der Menscheitsgeißeln unserer Tage, den Perfektionismus, in eine Richtung verbiegt, die nicht im Sinne der Selbstoptimierungs-Apologeten liegen dürfte: „Ich bin draufgekommen, dass man zum Perfektsein gar nicht perfekt sein braucht.“
Der eigentümliche LP-Titel „Golden Voyager Record Vol. III“ wurzelt übrigens in einer realen historischen Begebenheit mit österreichischer Beteiligung: 1977 sandte die NASA ihre beiden Sonden Voyager I und II ins All, um außerhalb unseres Sonnensystems den interstellaren Raum zu erkunden.
Jede der bis heute im Orbit herumgeisternden Sonden hat eine goldene Schallplatte an Bord. Darauf finden sich unter anderem Walgesänge, Musik von Bach, Mozart, Brahms bis hin zu Blind Willie Johnson und Chuck Berry – und eine Audiobotschaft des damaligen UN-Generalsekretärs Kurt Waldheim, der sagt: „We step out of our solar system into the universe seeking only peace and friendship!“
Das, so fanden die vier, durfte nicht die letzte Botschaft an die Außerirdischen gewesen sein.

Belle Fin und Das Schottische Prinzip © Justyna-Belfin-Wisniewski, Yuki Gaderer



