Himmelsstürmerinnen, Godfather und Beichtstuhl

Von göttlicher Licht-Suche, Hit-Meteoren, Dialekt-Arien & stiller Studio-Andacht: Ein novemberlicher Song-Reigen mit u.a. Rosalía, The Last Dinner Party, Anna Buchegger, Paul Weller und Midlake.

Von
13. November 2025

Märchenhaft verspielter Pop von The Last Dinner Party auf "From The Pyre" (Universal)

Es gibt Bands, die große Erwartungen wecken, die sie dann doch nie ganz erfüllen. Poliça aus Minneapolis ist so ein Fall: Das irgendwo zwischen Art-, Alt- & Electro-Pop changierende US-Quintett ist seit Beginn 2011 ein großes Versprechen. Justin Vernon alias Bon Iver schwärmte 2012 nach einem Live-Gig: „They’re the best band I’ve ever heard“. Der sirenenhaft-verführerische Gesang von Channy Leaneagh, dazu ein singender Bass und gleich zwei druckvoll-treibende Schlagzeuge(r) sorgen für flirrende Sounds, die – ja, was eigentlich? –, die (allzu) oft in ihren eigenen Soundstrudel geraten und irgendwie selbstbezüglich in und um sich kreisen. Selten kommt dabei etwas heraus, das nachhaltige Kontur gewinnt; das Meiste bleibt schemenhaft, amorph.

Zu den Sternen streben

Das ist auch auf ihrem aktuellen, bereits achten Album, „Dreams Go“ (dem leider letzten des an einem Gehirntumor erkrankten Bassisten), so. Die Ausnahme kommt zum Schluss – mit dem Titelsong, der – hier in einer Live-Version – all das einlöst, was man leider viel zu selten von Poliça hört: ein buchstäblich (nämlich textimmanent) zu den Sternen strebender Song („…Only see the stars I couldn’t reach…“) voller Sehnsucht und Hingabe, mit Mörder-Antrieb und strahlendem Refrain. Bitte öfter so!

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Pop-Feuer am Scheiterhaufen

Auf The Last Dinner Party ist immer Verlass. Gut, vor wenigen Wochen ist erst das zweite Album der fünf Himmelsstürmerinnen erschienen („From The Pyre“, also „Vom Scheiterhaufen“!), mit dem sie die britische Pop-Szene – und nicht nur die – genauso triumphal einnehmen (werden) wie schon mit ihrem Debüt („Prelude To Ecstasy“, 2024, mit der Hitsingle „Nothing Matters“).
Anspielungsreich, märchenhaft-mysteriös, mit ABBA-haften Melodien, aber x-fachem Drive, legen sie buchstäblich Feuer, wie auch „Count The Ways“ zeigt, der neue Hit- & Song-Meteor, der in jeder Hinsicht & Hörweite voll einschlägt: Besser, treffender & theatralisch überzeugender geht Pop zurzeit kaum.

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Kurzpredigt & Hochamt

Eine übertrifft momentan freilich alle(s): stimmlich, inszenatorisch, idiomatisch (sie singt gleich in 13 verschiedenen Sprachen): die Katalonin Rosalía (Vila Tobella). Anlässlich ihres neuen Albums, „Lux“, einer irrwitzigen Mischung aus Flamenco, Opernarien, Latin-Pop, Eurovisions-Bombast (a la JJ) und schmelzend-schmachtenden Balladen, wird die klassisch ausgebildete Sängerin – etwa von der „ZEIT“ – kurzerhand zur neuen Pop-Königin erklärt & publizistisch gekrönt.
Neben all den wahrlich erstaunlichen musikalischen Ingredienzien und Talenten steigt freilich nicht wenig Weihrauch in die (feinen) Feuilletonnasen, da es in den Gott suchenden (und mitunter im titelgebenden „Licht“ auch findenden) Texten vordringlich religiös-mystisch zugeht. (Und es ist schon verwunderlich, wie ansonst säkular-hochnäsige Popkritiker in der Anbetung dieser spirituell ausschweifenden Künstlerin reihenweise auf die Knie sinken).
Wir nehmen hier – als pars pro toto – nicht den aktuell heftig rotierenden, ästhetisch aber schwer überspannten Song „Berghain“ als Beispiel (in dem der Berliner Kult-Club übrigens nirgendwo im Text vorkommt), sondern die etwas dezentere, stringentere Version von „Divinize“, die – auch mit elektronisch-frickelnden Beigaben & einer rap-artigen Kurzpredigt – viel von den faszinierenden Liturgien dieses musikalischen Hochamts zeigt.

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Grelle Popvolkskultur

Die österreichische Antwort auf Rosalía ist wohl am ehesten – Anna Buchegger. Auch die Salzburgerin verfügt über eine gut ausgebildete, kräftige, variabel einsetzbare Stimme, und auch sie inszeniert sich – und ihre Songs – in einer bildhaft suggestiven Weise, halt (zumindest vorläufig) minus religiösen Überbau. Die einstige „Starmania“-Siegerin (2021) mixt dafür volkskulturelle Kontexte mit grellen Popmomenten, singt, swingt & jodelt höchst eigenständig im Dialekt, ohne die üblichen Anbiederungen. All das zeigt sich in „Soiz“, so wie auch ihr zweites, kürzlich erschienenes Album heißt, auf exemplarische Weise (und visuell ansprechend).

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Spekulation über Vaterfigur

Bei all diesen femininen Extravaganzen kann & will die derzeit einzige & wahrhaftige Regentin des Pop nicht wirklich mithalten – braucht sie auch nicht, weder ihre eigenen Ansprüche, noch jene ihrer weltweiten Gefolgschaft verlangen danach: Taylor Swift bewegt sich musikalisch, künstlerisch und kommerziell bekanntlich in einer anderen, global unfassbar erfolgreichen & gewinnbringenden Umlaufbahn. Darüber ist genug gesagt & geschrieben worden (auch schon hier, auf dieser Plattform).
Auf ihrem aktuellen, musikalisch nicht sonderlich auffallenden oder aufregenden Album, „The Life Of A Showgirl“, gibt es aber zumindest einen bemerkenswerten Song: „Father Figure“ verfügt nicht nur über einen feinen Pop-Appeal & eingängigen Refrain, er zitiert auch George Michael und dessen gleichnamigen Hit aus dem Jahr 1987. Interessanter als diese (bekannte) Referenz ist freilich, wer mit & in all den textlichen Anspielungen – „I’m your father figure“, „Your remind me of a younger me / I saw potential“, „I can make deals with the devil because my dick’s bigger“ – gemeint sein könnte. Die weltweiten Netz-Auguren, die jeden Swift-Krümel in anspielungsreiche Mikro-Botschaften zer- & auslegen, vermuten darin den frühen Taylor-Mentor und -Förderer Scott Borchetta (CEO von Big Machine Records).
Uns ist das ziemlich egal (oder, wie Hans Krankl einmal sagte: „… ziemlich wursch… äh, uninteressant“) – wir hören stattdessen lieber zu, bei diesem einfach schönen Song.

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Schätze aus historischer Tiefe

Und die Herren? Was ist von ihnen popmusikalisch zu vermelden?
Paul Weller, „Godfather of Britpop“ im 67. Dienstjahr, blickt auf seinem neuen Album, „Find El Dorado“, retroselig zurück – und findet sein Glück in alten, vielfach unbekannten Songs verschiedenster Künstler. Er hievt dabei eine Reihe teils ungehobener Schätze empor, etwa den „Small Town Talk“ von Bobby Charles. Wir interessieren uns hier mehr für einen Song von Ray Davies, „Nobody’s Fool“, den der Kinks-Gründer selbst nur in einer Demo-Version aufgenommen hat (für die TV-Serie „Budgie“) und den Weller nun zu einem hübschen Pop-Kleinod veredelt.

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Unzeitgeistige Zauseln

Von den waldschratigen Zauseln Midlake hat man schon länger nichts mehr gehört. Nun ist ihr neues Album, „A Bride To Far“, herausgekommen – eine opulente, völlig aus der Zeit gefallene, aber durchaus an frühere Werke der US-Band erinnernde Prog-Folk-Etüde (halt ohne die einst prägende Stimme von Tim Smith, die nun seit mittlerweile 13 Jahren von Eric Pulido – etwas minder beeindruckend – beigesteuert wird).
Auf „The Ghouls“, einer der besseren & flotteren Nummern auf dem etwas zähflüssigen Werk, sieht man im dazugehörigen Video in angenehm ruhigem Flow die Freuden der Studioarbeit: Sechs Herren, die meisten – auch darin demonstrativ unzeitgeistig – langhaarig, bärtig & hemdsärmelig verschlurft, in die konzentrierte musikalische Tätigkeit vertieft. Von den leichenfressenden Monstern, um die es in dem Song geht, ist nichts zu sehen – sie dürften sich in dem vollgerammelten Aufnahmeraum gut versteckt haben.

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Eindringliche Musik-Bild-Sprache

Bleibt zum Abschluss – und durchaus im Anschluss an die naturverhaftete, aber immer auch leicht bedrohliche Bukolik von Midlake – ein nahezu apokalyptischer Song des Wiener Singer/Songwriters Patrick Lammer: In „Mountain“ (musikalisch unterstützt von Bernd Satzinger von der Jazzwerkstatt Wien) werden große Fragen & Themen behandelt: Ist das noch die Welt, die wir einst kannten? Existiert diese überhaupt noch?
Ein flüchtiger Blick aus dem Fenster, nein, aus einem Beichtstuhl heraus – so will es das dunkel grundierte Video von Gunther Elmer, gedreht in der St. Pöltner Franziskanerkirche – macht trotz gegenteiliger Absicht nur bedingt Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft. Das allerdings in einer faszinierend eindringlichen Musik-Bild-Sprache. Mehr November-Stimmung wird man so bald nicht finden. Amen.

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Märchenhaft verspielter Pop von The Last Dinner Party auf "From The Pyre" (Universal)

„Count The Ways“, der neue Hit- & Song-Meteor von The Last Dinner Party, schlägt in jeder Hinsicht & Hörweite voll ein: Besser, treffender & theatralisch überzeugender geht Pop zurzeit kaum.