Schönster Trübsinn

Weltklasse-Songs, Weltuntergangsstimmung, exzellente Interpretation: Das New Yorker Trio Nation Of Language wäre exorbitant, könnte es nur den stilistischen Fokus noch etwas schärfen.

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22. September 2025

Nation Of Language: Dance Called Memory (Sub Pop)

Kein Nanogramm Innovation beschwert diese Platte. Nicht einmal im bandinternen Werkverzeichnis ragt, allenfalls vom Titel – „Ein Tanz namens Erinnerung“ – abgesehen, das vierte Album des aus Brooklyn stammenden Trios Nation Of Language weiß Gott wie dramatisch heraus.
Aber gibt es Schöneres als 41:39 Minuten Wehklagen und Trübsinn? Alle im Chor: nein, gibt es nicht.

Nation of Language, die es seit 2016 gibt, zentrieren sich um Sänger, Multiinstrumentalist und Songschreiber Jan Richard Devaney, eine dieser genialischen, bisweilen ein bisserl spinnert wirkenden, aber jedenfalls von einer dringlichen Mission getriebenen Frontfiguren des Pop. Als er im Auto seines Vaters „Electricity“ von OMD hörte, ließ er Punk, Rock und Power-Pop bleiben, stellte vorübergehend auch die Gitarre ins Eck und versenkte sich in elektronische Musik.

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Seither arbeitet er sich mit seinen Mitstreiter/innen Aidan Noell (Synthies) und Alex MacKay (Bass) daran ab, sein Leiden in und an diesem irdischen Jammertal in einen blass-kühlen, an den frühen 80er-Jahren orientierten, zwischen New Wave, Disco, Electro-Pop und fast sphärischen, Ambient-artigen Passagen oszillierenden Soundtrack zu kleiden, der durch einen kräftigen Bass Bodenhaftung und durch sporadische Gitarren-Einsätze etwas Farbe erhält.

Das hat schon mit dem Debüt „Introduction/Presence“, das praktischerweise zum Ausbruch der Corona-Pandemie im April 2020 erschienen ist, bei Kritikern gut funktioniert und beim bislang letzten Longplayer „Strange Disciple“ (2023) sogar moderate Charts-Erfolge gezeitigt.

Verwischter, aber auch mehr Gitarren

Nun ist es natürlich nicht wirklich so, dass sich bei Nation Of Language musikalisch rein gar nichts bewegt hätte.
So sind zum einen beim neuen Album „Dance Called Memory“ die elektronischen Texturen noch sphärischer, verwischter, fragiler als auf den Vorgängern.

Nation Of Language: Aidan Noell, Jan Richard Devaney, Alex MacKay (@ Ebru Yildiz)

Wie als Kontastprogramm fällt zum anderen alsgleich eine wesentlich prominentere Präsenz der Gitarren auf. „Nights Of Weight“, der letzte Song der LP, klingt schon fast wie Singer/Songwriter-Folk. Er sei „depressed“ gewesen, und Gitarrespielen sei da eine gute Ablenkung, erklärt Devaney diese Schwerpunktverlagerung in einem Promo-Interview.

Sehr offenkundig sind Nation Of Language nahe daran, eine große Band zu sein. Die Songs sind riesig, einige gehören überhaupt zum allerbesten, was die Popmusik derzeit zu bieten hat: Der tiefelegische, aber auch hymnische, mit Melodica angereicherte Opener „Can´t Face Another One“ etwa, das getragene „I´m Not Ready For The Change“, das erwähnte „Nights Of Weight“ und insbesondere „Inept Apollo“, ein melodisch raffiniertes Wunderwerk von einem Electro-Pop-Dancefloor-Feger.

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Devaneys klagend-gebrochene Stimme hat Grandezza und den Texten, die von Verlust, Reue, von Veränderungen, für die man nicht bereit ist, und die grundsätzlich, wie Devaney erklärt, von unterschiedlichen Formen des Todes handeln, wohnt bei aller Düsterkeit auch etwas Tröstliches, geradezu Solidarisches (mit den Mühsalbeladenen) inne.

Ein Problem bleibt die Dehnbarkeit des Rahmens, in dem Nation Of Language agieren: Zu oft ertappt man sich beim Hören mit Vergleichen. Die schnelleren Songs klingen bisweilen, besonders wenn Devaney wie Matt Berninger aus seiner Stimme jegliche Emphase herausnimmt, an die populistischeren Stücke von The National an, die Kombination von Bass und verwehter Elektronik erinnert ein wenig an die Joy Division von „Closer“, in den besonders schwermütigen Momenten scheint das formidable britische Trio Dakota Suite durch, und wo die Gitarre stärker ins Spiel kommt, sind The Cure nicht mehr weit.

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Alles große Reverenzen, keine Frage. Aber Nation Of Language hätten das Potential, selbst eine Reverenz vergleichbarer Größe zu sein. Wenn sie es denn schaffen, in all dem depressiven Dämmer den Fokus zu schärfen.

Nation Of Language: Dance Called Memory (Sub Pop)

Einige Songs, insbesondere „Inept Apollo“, gehören zum Besten, was Pop derzeit zu bieten hat.