Schwarzes Metall unter dem Christbaum

Mit bemerkenswerten neuen Alben von Agriculture, Chat Pile and Hayden Pedigo und Ragana & Drowse glänzt das US-amerikanische Dark-Music-Label The Flenser zu Jahresende einmal mehr in düstersten Farben.

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9. Dezember 2025

Für Ragana & Drowse haben sich das Frauenduo Ragana mit Kyle Bates aka Drowse zusammengetan (© Jolie M-A)

Die Technik, bei Walen Speck vom Fleisch zu trennen, nennt sich „flensing“. Nach dieser Prozedur benannte Jonathan Tuite sein 2009 in San Francisco gegründetes Label The Flenser. Der Name ist metaphorisch Programm: Hier werden dunkle Gefilde und schreckenerregende Abgründe erkundet, musikalische Grenzgänge seziert, wird der Lust am (schmerzhaften) Experiment gefrönt. Von Beginn an fokussierte sich das Label auf die amerikanische Black Metal-Szene, nicht ohne auch offen für andere Genres im näheren Umfeld zu sein. So zählen etwa Post-Metal-Acts wie Bosse-de-Nage oder auch die dem Gloom und Drone zuzurechnenden Have a Nice Life zu treuen Begleitern. Nun sind in diesem Herbst drei weitere bemerkenswerte Veröffentlichungen erschienen, die – zumindest bei Naturen, die es etwas rauer mögen – noch gut einen Platz unter dem Weihnachtsbaum finden könnten.

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Anfang Oktober erschien das in Teilen giftige „The Spiritual Sound“ von Agriculture, das sich als musikalische Wundertüte erweist. Es ist das zweite Album des Quartetts aus Los Angeles, das zunächst („My Garden“) klassische Black Metal-Ansprüche bedient, um dann mit Dreampop zu kokettieren. Wer glaubt, sich nun ausruhen zu können, irrt: Denn was folgt, ist eine in Metal eingebettete wilde Mischung aus Freejazz, Blackgaze und Screamo – stets darauf bedacht, das Tempo hoch zu halten. Die Nähe zu Deafheaven (etwa bei „Micah 5:15 pm“) dürfte dabei nicht zufällig sein.

Inseln inmitten Höllenbeschwörungen

Das Album selbst zerfällt quasi in zwei Teile, wobei das Intermezzo „The Spiritual Sound“ die Grenze markiert: Während im ersten Teil Unrast dominiert, unterbrochen von harmonischen Sequenzen, die wie Inseln inmitten dissonanter Höllenbeschwörungen driften, überwiegt im zweiten Teil ruhiger Gesang, eingebettet in Soundwällen, ohne dabei aber Experimentelles einzubüßen – wie im die Stile wechselnden „Bodhidharma“.

Kathartische Achterbahnfahrt: Agriculture (© Flenser)

Die beiden Teile dürften denn auch die unterschiedlichen Zugänge der hauptsächlichen Songwriter der Band, Dan Meyer und Leah Levinson, widerspiegeln. Insgesamt ist „The Spiritual Sound“ eine kathartische Achterbahnfahrt, deren Finessen sich nach und nach erschließen.

Abschiedssong im Geist von Jim Morrison

Zurückhaltender, aber in Teilen nicht weniger abgründig spielen Chat Pile and Hayden Pedigo mit den Motiven einer Wildwest-Romantik. Der aus Texas stammende Country-Avantgarde-Musiker Hayden Pedigo erregte landesweit Aufsehen, als er 2018 als 24-Jähriger für das City Council von Amarillo kandidierte. Die Filmemacherin Jasmine Stodel drehte über die Kampagne sogar einen Dokumentarfilm („Kid Candidate“). Pedigo musste sich allerdings gegen Emily Haines geschlagen geben, erntete aber viel Lob für das Aufdecken der Korporatokratie in Amarillo.

Chat Pile and Hayden Pedigo (vorne) © Bayley Hanes

Chat Pile aus Oklahoma City fühlen sich auf der anderen Seite mehr dem Noise und Sludge Metal verpflichtet, geprägt von unterschwelliger Angst. Diese Unruhe durchsetzt auch das Ende Oktober veröffentlichte Werk „In The Earth Again“, etwa in dem aggressiv-tristen „Never Say Die!“. Bei aller Trostlosigkeit überwiegen über weite Strecken harmonische Klänge, so in dem den Geist von Jim Morrison atmenden „Demon Time“ oder dem Abschiedssong „The Magic of the World“.
In „Fission Fussion“ oder auch in „The Matador“ zeigen Chat Pile wiederum, dass mit Harmonie allein das Ende der Welt nicht zu besingen ist; gleichwohl wirkt die Musik der Band wie der Gesang von Raygun Bush durch die Zusammenarbeit mit Pedigo gebändigt. „Radiactive Dreams“ synthetisiert dann Harmonie mit Noise und führt Tristesse mit Verfall zusammen: „So I’m sitting now/Half in the earth/With the ghosts of my friends/And the ghost of the world/And the echo is endless”.

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Ausflüge in Traumwelten

Von endlosen Echos weiß auch das Mitte November erschienene „Ash Souvenir“ zu erzählen. Die Zusammenarbeit von Ragana, einem weiblichen Black Metal/Doom-Duo aus Olympia, Washington, mittlerweile in Oakland, Kalifornien, residierend, und Drowse, dem musikalischen Projekt von Kyle Bates aus Portland, Oregon, präsentiert sich in Teilen elegisch. Sie ist die vielleicht schönste und zugleich traurigste der drei Veröffentlichungen. „In Eternal Woods Pts. 1-3“ beginnt repetitiv mit einer minutenlangen Wiederholung der gleichen musikalischen Sequenz, ehe der Song dann beinahe erlösend in Metal-Fahrwasser gerät, wobei Ragana bewährt so klingen, als betrieben sie einen leibhaftigen Exorzismus.

Neben den Passagen der Verzweiflung, wunderbar kontrastiert mit der ruhigen Stimme von Bates in „After Image“, gibt es Ausflüge in Traumwelten, wie es die Titel der ewigen Wälder ja auch nahelegen. „In Eternal Woods Pt. 4“ vermeint man gar, kurz im Mittelalter zu verweilen. Der Song „Ash Souvenir“ bündelt zum Schluss Fragilität und Vergänglichkeit in einer Art Dream Metal, in dem man sich wie in einem Labyrinth verlieren kann. Flenser sei Dank.

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Für Ragana & Drowse haben sich das Frauenduo Ragana mit Kyle Bates aka Drowse zusammengetan (© Jolie M-A)

Hier werden dunkle Gefilde und schreckenerregende Abgründe erkundet, musikalische Grenzgänge seziert, wird der Lust am (schmerzhaften) Experiment gefrönt.