Trauerarbeit

Unverhüllt von elektronischer Gerätschaft versucht Ex-Low-Sänger und -Gitarrist Alan Sparhawk auf seiner neuen LP „Alan Sparhawk With Trampled By Turtles" den Tod seiner Frau und kongenialen Bandkollegin Mimi Parker zu meistern.

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2. Juni 2025

Alan Sparhawk With Trampled by Turtles (Sub Pop)

Als du beim Fenster raus und in den Sonnenuntergang flogst, dachte ich, ich würde niemals aufhören, deinen Namen zu schreien. Aber die Atemluft wurde mir knapp, also zog ich mir welche rein. Und dann fing ich wieder und noch lauter zu schreien an, und das Schreien geht weiter für Stunden und Tage“, singt zur Begleitung einer fragmentierten E-Gitarre eine abgekämpft klingende Männerstimme.
Und dann heult eine Geige auf wie unter unvorstellbaren Qualen und Schrecknissen. So ungefähr muss es in einem Schlachthof klingen, weiter gehende Assoziationen will man sich lieber nicht zu konkret ausmalen.

Es ist kein großes Rätsel um Stücke wie „Screaming Song“ und zwei, drei thematisch verwandte Lieder von Alan Sparhawks neuem Album „Alan Sparhawk With Trampled By Turtles“. Sparhawk leistet Trauerarbeit. Der Sänger, Gitarrist und Songschreiber versucht, den Tod seiner Frau Mimi Parker zu bewältigen, mit der er die superbe Band Low betrieben und zwei (ebenfalls musizierende) Kinder hat.

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Das beeindruckend neu gedeutete „Get Still“ vom neuen Album „Alan Sparhawk With Trampled By Turtles“

Im November 2022 war Parker einem Krebsleiden erlegen, noch ein halbes Jahr davor hatten Low mit ihrem grandiosen, Krach, Verzerrungen und rhythmische Verschleppungen mit schönstem Mann-Frau-Harmoniegesang kontrastierenden Album „Hey What“ im Wiener WUK gastiert.

Umweg über ein vollelektronisches Album

Sparhawk hat einen Umweg genommen, um seine Lebens-Tragödie zu meistern. „Alan Sparhawk With Trampled By Turtles“ ist nämlich schon sein zweites Album nach Parkers Ableben. Davor veröffentlichte er 2024 das vollelektronisch mit Stimmverfremdungen, Sequenzern, Rhythmusmaschinen und allen sonst noch dazugehörenden Schikanen gefertigte, sagen wir einmal: etwas gewöhnungsbedürftige Album „White Roses, My God“.

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„Can U Hear“ von „White Roses, My God“

Musikalische Maskierung zur Krisenbewähltigung – darin kann man, wenn man will, eine Parallele zu Neil Young sehen, der ja übrigens ebenfalls, wenn auch in der Ausführung weit weniger radikal, ein Elektronik-Album („Trans“, 1982) veröffentlicht hat: Young begründete seine scheinbar planlosen stilistischen Bocksprünge durch die 80er Jahre (von heftigem Distortion-Rock über Elektronik, originalgetreuen Fifties-Rock‘n‘Roll, behäbigem Country bis Synthie-Rock) mit der Trauer über die Behinderung seiner zwei heranwachsenden Kinder.

Wie auch immer – mit „Alan Sparhawk With Trampled By Turtles“ wagt sich Sparhawk jedenfalls hinter dem Schleier hervor: Sein zweites Album nach dem Tod seiner Frau ist eine Mischung aus Folk, Roots-Musik, kammermusikalischen Elementen und Andeutungen von Rock; kein Vocoder oder sonstiges vokales Manipulationsgerät verfälscht seine raue, eindringliche Stimme.

Duett mit der Tochter

Wie eigentlich schon der Titel hinreichend indiziert, darf man „Alan Sparhawk With Trampled By Turtles“ auf keinen Fall als Solo-Album verkennen – im Gegenteil: Die hinter der Platte stehende Idee war, dass gerade in schweren Zeiten die schönste Musik noch immer beim gemeinsamen Spielen mit Freunden und Vertrauten herauskommt.

Neben der von Parker und Sparhawks jahrelang geförderten, wie diese aus Duluth, Minnesota stammenden Folk- und Bluegrass-Band Trampled By Turtles partizipiert ihre Tochter Hollis am Album. Sie singt mit ihrem Vater ein wunderschönes Duett in „Not Broken“, einer ergreifenden Hymne an die Mächte der Selbstbehauptung.

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Das wunderschöne Duett mit Tochter Hollis in „I‘m Not Broken“

Hollis Sparhawk war (ebenso wie ihr Bruder Cyrus) bereits bei „White Roses, My God“ dabei. Auch der Co-Produzent, Nat Harvie, ist beim neuen Longplayer derselbe wie beim Vorgänger. Sogar zwei Songs, „Heaven“ und „Get Still“ – hier recht eindrucksvoll als eine Art Gospel gedeutet -, wurden übernommen und neu arrangiert.

Das alles legt also nahe, die beiden Platten nicht als von einander isolierte Werke zu sehen, sondern – wir beugen uns der Verführungskraft der Plattitüde – als die zwei unterschiedlichen Seiten derselben Münze (oder Medaille).
Das untermauert im Übrigen nicht zuletzt die Tatsache, dass Sparhawk „Torn & In Ashes“, den vielleicht schönsten Songs des neuen Albums, bei diesem Live-Auftritt beim Square Roots Festival 2024 noch mit Vocoder-Vocals im Stil von „White Roses…“ einspielt.

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Alan Sparhawk beim Square Roots Fest 2024 mit zwei frühen Versionen von „Screaming Song“ und „Torn & In Ashes“

Indessen greift „Alan Sparhawk With Trampled By Turtles“ teilweise auch auf ein Repertoire zurück, an dessen Entstehung noch Mimi Parker beteiligt war: Das ironische „Princess Road Surgery“, das Low vor ca. 10 Jahren bereits sporadisch live gespielt haben, das erwähnte „Not Broken“ und das von eleganten Strings interpunktierte, leicht existenzialistisch angehauchte Beziehungsdrama „Too High“ (mit den schönen Zeilen „You and I we are not imbeciles but sometimes we are blind“).

Im Übrigen hat Sparhawk auch seinen Sarkasmus noch nicht ganz verloren, wie gleich der launige Opener „Stranger“ mit seinem Hau-auf-die-Pauke-Text im Zeichen der „Lebenshilfe“ zeigt. Ihm (dem Sarkasmus) begegnet man just am Ende der LP in „Torn & In Ashes “ wieder: „Torn and in ashes, all in one book / what I’d have learned if I had a look“.

Alan Sparhawk 2025 (© Alexa Viscius)

 

 

 

 

 

Alan Sparhawk With Trampled by Turtles (Sub Pop)

Ausdrücklich versteht sich „Alan Sparhawk With Trampled By Turtles“ nicht als Solo-Album. Im Gegenteil, der Gemeinschafts-Aspekt ist wichtig.