Zurück in die eleganten Salons!

Mit Musik, die weit vor der Ära des Rock'n'Roll und der Beatles verwurzelt ist, feiert die isländisch-chinesische Sängerin Laufey sensationelle Erfolge. Ihr neues Album „A Matter Of Time" ist eben erschienen und erfüllt alle Erwartungen.

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23. August 2025

Laufey: A Matter of Time (Vingolf Recordings / AWAL)

Niemand wird behaupten, dass diese Musik neu sei. Wohl aber lässt sich sagen, dass man sie in dieser Form bislang kaum in einem Pop-Kontext gehört hat: Eine Alt-Stimme, die Stahl schmelzen lässt, verbündet sich mit Bläsern und expansiven Streichern zu musikalischen Erzählungen von fast plastischer Raum-Präsenz. Diese Musik atmet die Atmosphäre der eleganten Salons und Konzerthäuser, die es vor dem Rock‘n‘Roll und den Beatles gegeben haben mag, schwebt schleierartig durch die Sphäre, berückt durch schiere Opulenz genauso wie durch feine Nuancen & Zwischentöne und taugt nur zu einem nicht: Zur Sause in den Dance-Clubs.

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Jazz ist einer der Pfeiler dieser Musik – nicht der experimentelle Jazz eines John Coltrane oder des Miles Davis von „Bitches Brew“, sondern der temperierte Jazz von Cocktail-Bars oder gehobeneren Restaurants; Klassik ebenfalls: die verspielten Etüden Fréderic Chopins sind herauszuhören, der Impressionismus Claude Debussys, aber auch die Klarheit eines Maurice Ravel (der notabene in seinen Kompositionen bereits Einflüsse des Jazz integrierte).
Was in diesem Kontext an Pop-Appeal über bleibt, ist sehr dezent in Szene gesetzt. Was normalerweise dazu dient, ein bissl Schwung in die Bude zu bringen – Gitarren, Schlagzeug – ist äußerst gedämpft eingearbeitet.

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Diese Musik kennt kaum Vorgänger – Nostalgie-Projekte eines Robbie Williams oder auch eines Bryan Ferry wirken im Vergleich dazu eindimensional.
The Walkmen-Sänger Hamilton Leithauser mag in der „romantischen“ ersten Hälfte seines ersten Solo-Albums „Black Hours“ vielleicht eine ähnliche Richtung angedriftet haben, womöglich auch Zach Condon in den Streicherarrangements der zweiten, stark von französischen Ballsälen des frühen 20. Jahrhunderts geprägten Beirut-LP „The Flying Club Cup“, aber mehr als Andeutungen sind das nicht.

Mit dieser Musik ist in den frühen 2020er-Jahren die Sängerin, klassisch ausgebildete Cellistin, Gitarristin und Pianistin und Songschreiberin Laufey zu Ruhm und Erfolg gekommen.
Als Laufey Lín Bing Jónsdóttir vor 26 Jahren in Reykjavík als Tochter eines isländischen Vaters und einer chinesischen Mutter geboren, hat sie schon mit ihrer ersten EP „Typical Of Me“ Kritiker überzeugt und das Interesse von Kollegin Billie Eilish erweckt.

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So chartete denn auch ihr erstes Full-Length-Album „Everything I know About Love“ sowohl zuhause in Island wie auch den USA; richtig durchgestartet ist Laufey (original isländisch ausgesprochen „Lœyvei“) mit ihrem zweiten Album „Bewitched“, mit dem sie nicht nur den Erfolg des Debüts übertraf, sondern auch einen Grammy (Kategorie Best Traditional Pop Vocal Album) holte. Nun ist Album Nummer 3, „A Matter Of Time“ erschienen.

Social-Media-Präsenz

Laufey, die heute in Los Angeles lebt, ist keine Dissidentin gegen die Musikindustrie. In ihrer prononcierten Absicht, mit ihrer Musik Menschen zu verbinden, ist sie auf allen maßgeblichen Social Media-Kanälen intensiv präsent, bedient selbst TikTok auf geschmackvolle Weise und arbeitet intensiv mit allen Streaming-Plattformen zusammen.

Social Media-Artistin Laufey Lín Bing Jónsdóttir (© Emma Summerton)

Insgesamt hat sie auf Social Media 25 Millionen Follower/innen, machte mit „Bewitched“ den zweiterfolgreichsten Charts-Einstand (Anzahl von Streams in der ersten Woche) auf Spotify und wurde damit auch die weltweit meistgestreamte Musikerin aus Island, was angesichts von Mitbewerber/innen wie Björk oder Sigur Rós keine Kleinigkeit ist. Insgesamt verzeichnet Laufey heute 5 Milliarden Streams.

Und weil sie mit ihren distinguierten, immer auf den jeweiligen Anlass abgestimmten Outfits auch als veritable Stil-Ikone firmiert, gibt es seit drei Jahren A Very Laufey Day: Einen Tag speziell im Zeichen Laufeys, an dem Fans – sogenannte Lauvers – angehalten sind, sich in Laufey-Style zu kleiden und sich an speziellen Orten Laufey-gestylte Requisiten und Produkte (Kleiderständer, Getränke, Frozen Yogurts) zu Gemüte zu führen.

(© Emma Summerton)

Programmierter Höhepunkt des Tages ist ein Auftritt der Sängerin aus Los Angeles, der offiziell weltweit auf TikTok live gestreamt wird.
Heuer ist der Very Laufey Day der 24. August und wird in rund 75 Städten zelebriert. Wien ist, obwohl auf Laufeys Facebook-Seite (Posting vom 15. August) in der Liste der Teilnehmerstädte verzeichnet, nicht dabei, wie auf Nachfrage versichert wurde.

Reflexionen der eigenen Rolle

Den aus der selbstgewählten Exposition erwachsenen Dauerdruck durch das öffentliche Auge reflektieren bei Laufey mittelbar die Texte – ein Phänomen, das man gut aus dem Hyperpop kennt.
Wo es nicht unmittelbar um Liebesfreud und -frust geht, thematisiert die Künstlerin die eigene Rolle – insbesondere die Erwartungen an und Klischees über Frauen und die Diskrepanz zwischen Person und öffentlicher Persona.

(© Emma Summerton)

Einer der herausragenden Songs aus dem neuen Longplayer, die sentimental angelegte, vergleichsweise dezent orchestrierte Ballade „Snow White“, klagt über sowohl selbst wie auch von außen auferlegte Zwänge: Da ist zum einen der innere Impetus, gut aussehen zu wollen/müssen, zum anderen aber, dass man als Frau nicht über den Verstand, sondern über den Körper wahrgenommen werde.
The world is a sick place, at least for a girl“, heißt es an einer Stelle so nüchtern wie trostlos.

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Dem „Rolling Stone“ erklärte Laufey dazu: „Ich will eigentlich keine negative Botschaft aussenden. Aber mein Ziel für dieses Album war Ehrlichkeit. (…) Und ja, es ist kein netter Song. Es endet nicht mit einem Trost: ,Aber du bist doch hübsch, und alles wird für dich okay laufen‘.
Ich bin draufgekommen, wenn ich mich schlecht über mich selbst fühle, kann mir das niemand ausreden. Wenn dagegen meine Freunde sagen, ,Ich fühle mich auch wie Scheiße‘, ist das das beste Gefühl der Welt. Ich hoffe eigentlich nicht, dass sich Leute von sowas angesprochen fühlen, weil das nicht lustig ist, aber wenn sie es tun, hoffe ich, dass sie sich verstanden fühlen.“

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In „Mr. Eclectic“, einem von mehreren Stücken auf „A Matter Of Time“, die im Bossa Nova-Stil etwas Luft in die irgendwie hermetisch in sich geschlossen anmutende Musik bringen, veräppelt Laufey einen Mann, der eine Frau auf das Peinlichste mit seiner Bildung beeindrucken zu müssen glaubt.

In anderen Stücken wie dem burlesken, ebenfalls als Bossa Nova angelegten „Lover Girl“, gewinnt das Gefühl Oberhand über Reflexion und Kontrollmechanismen: „The independent lady in me is nowhere to be found“, kommentiert die Protagonistin selbstironisch ihre ungeduldige Sehnsucht, ihren Liebsten wiederzusehen.

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Produziert hat Laufey „A Matter Of Time“ zusammen mit ihrem bewährten Kollaborator Spencer Stewart sowie Aaron Dessner, bekannt als soundprägender Gitarrist & Keyboarder von The National und durch seine Zusammenarbeit mit Taylor Swift.
Dramatisch geändert hat sich die Musik dadurch nicht. Nach wie vor ist ihre cinematographische Ausstrahlung evident: Die Platte hat sogar eine 3:40 Minuten lange Instrumentalstrecke, die „Cuckoo Ballet“ betitelt, aber statt übergeschnappt eigentlich recht lieblich ausgefallen ist. Aber auch in den gesungenen Stücken führen die Streicher eine Art Eigenleben, kreieren Stimmungen à la Jetzt wird gleich etwas passieren oder Jetzt wird´s dramatisch.

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Dass solchen Erwartungen meist keineswegs entsprochen wird, ist eine der charmanten Ironien der Platte. Dass andererseits einige der sparsamer instrumentierten Songs – insbesondere „A Cautionary Tale“, die Aufarbeitung einer archetypisch toxischen Beziehung – emotional mehr ergreifen als die aufwendig und sophisticated orchestrierten Stücke, steht auf einem anderen Blatt. Man kann eben nicht alles haben, selbst wenn man (fast) alles kann.

Laufey: A Matter of Time (Vingolf Recordings / AWAL)

Niemand wird behaupten, dass diese Musik neu sei. Wohl aber lässt sich sagen, dass man sie in dieser Form bislang kaum in einem Pop-Kontext gehört hat.