Immergrüner Chronist mit stacheligen Botschaften
Auf seinem zwölften Studioalbum, „Interior Live Oak“, verknüpft US-Singer/Songwriter Cass McCombs anspielungsreiches Storytelling mit einer geschmackvollen Mischung aus Folk, Alternative Country und Indiepop.

Cass McCombs: Interior Live Oak (Domino)
Cass McCombs, der 1977 im kalifornischen Concord zur Welt kam, zählt zu den besten und zugleich unterschätztesten Singer/Songwritern der Gegenwart. Seit über zwanzig Jahren versorgt er die Musikwelt verlässlich mit bemerkenswerten Alben und unaufgeregten, unprätentiösen Songs. Sein neues, nach Wanderjahren bei diversen Plattenfirmen (wie 4AD und Anti) wieder bei Domino erschienenes Album „Interior Live Oak“ reiht sich nahtlos in sein zeitloses Oeuvre ein.
Der Albumtitel bezieht sich auf eine Eichenart, die in ganz Kalifornien zu finden ist. Es handelt sich dabei um eine immergrüne Pflanze, die als Busch oder Baum erscheint und mit stacheligen Blättern ausgestattet ist. Mit ein bisschen Phantasie wäre das auch eine adäquat-bildreiche Beschreibung des amerikanischen Singer/Songwriters. Für sein aktuelles Album hat er sich wieder mit langjährigen Weggefährten wie Jason Quever (Papercuts) und Chris Cohen zusammengetan und thematisiert in sechzehn Songs eine Dekade großer gesellschaftlicher, aber auch persönlicher Umwälzungen.

Gedämpfte (Klang-)Farben: Cass McCombs (© Silvia Grav)
Mit feiner, melancholischer Handschrift macht er sich Gedanken über die Welt und das Leben, über die Unwägbarkeiten, die einen erwarten, und die Umwege, die es manchmal braucht, um an gewünschte Ziele zu gelangen. Er spart in seinen Songs nicht mit Sozial- und Gesellschaftskritik, ist in seinen Lyrics nicht selten direkt und unmittelbar, schafft es aber mit seiner empathischen Perspektive, Ängste, Sorgen und Zweifel in innere Ruhe und lebensbejahende Energie umzuwandeln.
Cass McCombs’ Songs gleichen Kurzgeschichten, die mit nur wenigen Worten eine Stimmung einfangen oder eine Situation beschreiben. Wo dabei das Erlebte endet und das Erfundene beginnt, weiß nicht einmal der Künstler selbst so genau: „Don’t ask me what it means“. Musikalisch bewegt er sich in gewohnter Qualität zwischen klassischem Folk, Americana, Alternative Country und Indiepop.
McCombs sanft-anschmeichelnde Stimme trägt einen nicht unwesentlichen Teil zum Gelingen des gesamten Unternehmens bei: „Interior Live Oak“ ist ein klassisches Singer/Songwriter-Album mit einer erstaunlichen stilistischen Bandbreite, brillantem Songwriting, hinreißenden Melodien, eingängigen Harmonien und einem schlüssigen inhaltlichen Konzept und kann wohl als (bisheriges) Opus Magnum des kalifornischen Musikers bezeichnet werden.

McCombs‘ Songs tragen eine feine, melancholische Handschrift und gleichen Kurzgeschichten (© Silvia Grav)
Das Doppelalbum eröffnet mit einem Folkrock-Song mit Hammond Orgel („Priestess“), berührt mit melancholischen Balladen wie „Home At Last“ und „Missionary Bell“, enthält mit „Peace“ einen an Wilco-Großtaten erinnernden Song, überrascht mit dem meditativ-atmosphärischen Folk-Noir-Epos „Lola Montez Danced The Spider Dance“, zieht bei „Juvenile“ und „Who Removed The Cellar Door?“ vorübergehend das Tempo an, um mit dem entschleunigten „I Never Dream About Trains“ wieder zum klassischen Folk zurückzukehren.
Nach sechzehn Songs ohne Fehl und Tadel stimmt man Cass McCombs mit Freude zu, der in „Peace“ mit sanfter Stimme singt: „Take this with you / Where you go / Keep it close / When things don’t make sense“.

Cass McCombs: Interior Live Oak (Domino)
Mit seiner empathischen Perspektive schafft es McCombs, Ängste, Sorgen und Zweifel in innere Ruhe und lebensbejahende Energie umzuwandeln.