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Im Herbst des Anton-Bruckner-Jahres 2024 hat der Linzer Elektronik-Musiker Wolfgang Dorninger eine Bearbeitung von Werken des großen Komponisten in einer Kirche aufgeführt. Unter dem Titel „Bruckner Remixed in Space" ist es nun auf CD editiert.

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24. Jänner 2025

Dorninger: Bruckner Remixed In Space (Base Records)

Wolfgang „Fadi“ Dorninger ist ein großer Individualist der österreichischen Populärmusik: Einer, der Pop genauso kann wie Klassik, anstrengende Experimental-Elektronik wie auch durchaus einnehmende Hörbilder.
Er war Keyboarder und Vordenker der Freistil-affinen Pop-Rock-Formation Monochrome Bleu, die in den 80ern und 90ern einige interessante Platten herausgebracht hat, Soundkreator der zuweilen brachialen Linzer Elektronik-Combo Wipeout (die offiziell noch nicht den Dienst quittiert hat); er hat Musikprogramme für die Ars Electronica kuratiert.

Unter eigener Flagge hat er bis heute unzählige Projekte – für Performances wie auch Plattenproduktionen – realisiert. Auf gewisse Weise sind sie alle Soundtracks: Am offensichtlichsten in Form von Musik, die Dorninger für Aufführungen des Linzer Landestheaters und Theater Phönix gefertigt hat.

Dazu gibt es einen Strang in Dorningers Schaffen, den man als akustische Entsprechung archäologischer Arbeit begreifen könnte: In diesem heftet sich der Künstler auf die Spuren hochentwickelter Wüstenzivilisationen, deren Kulturleistungen bis heute nicht erklärt werden können.

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So nimmt etwa die CD „Hisatsinom, über das Verschwinden“, für die u.a. 16 Horsepower– und Woven Hand-Frontmann David Eugene Edwards einen Beitrag leistet, den Untergang der indianischen Hochkultur im Südwesten der USA als Ausgangspunkt, um das Verschwinden kultureller Codes zu erforschen.

Schließlich hat der ehemalige Student der Visuellen Medien bei Peter Weibel akustische/musikalische Porträts von Städten und Landschaften verfertigt. Ambient Music gewissermaßen, im wörtlichen Sinn verstanden: als Musik eines Lebensraums.

Die litauische Hauptstadt Vilnius ist in einer Art Hörspiel mit sakralem Einschlag zu erleben, während anderenorts nachvollzogen werden kann, wie das kleine Dorf Asten bei Linz von Industrialisierung und exponentieller Beschleunigung aus der Bahn geworfen worden ist.

Wolfgang „Fadi“ Dorninger an der Gerätschaft © Robert Bauernhansl

Auch unter Dorningers aktuellsten Arbeiten, die er unter dem Namen The Smiling Buddhas realisiert, sind etliche Travelogues. Einige davon handeln – gut passend zu den harschen elektronischen Soundscapes – von Hochgebirgsregionen wie Nepal oder den Alpen.
Atacama“ ist wiederum eine weitere Auseinandersetzung mit einem rätselhaften Kulturphänomen, nämlich den teilweise schon in vorchristlicher Zeit entstandenen Nasca-Linien im Süden Perus, wo in den kargen Boden überdimensionale Zeichnungen eingraviert sind, die erst aus der Luft besehen die Formen von Tieren, seltsamen Zwitterwesen oder geometrischen Zeichen preisgeben.

„Space“ ist eine Kirche

Dorningers aktuelles Werk – eben auf CD veröffentlicht – ist sein Beitrag zum Anton Bruckner-Jahr 2024. „Bruckner Remixed in Space“ ist es betitelt. Im September 2024 ist es uraufgeführt worden.

„Remixed“ heißt bei Dorninger nicht mehr (und nicht weniger), als dass er etwas bearbeitet hat, und „in space“ bedeutet, dass es sich im Raum – diesfalls dem der Kirche St. Severin, in der er mit dem Komponisten Peter Androsch bereits zweimal in der Langen Nacht der Kirchen aufgetreten ist – mit imposanter Resonanz ausbreitet.

Wolfgang Forsthuber (Orgel) und Fatima El Kosht (Flöte, Trompete) spielen die Sätze 1 und 2 aus Bruckners 8. Sinfonie sowie die 4. Sinfonie („Die Romantische“), Geza Eisserer kümmert sich um das Soundsystem (36 Tannoy-Lautsprecher). Dorninger umrundet, verfremdet, fragmentiert und akzentuiert das Spiel mit elektronischem Gerät.

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Wichtig war Dorninger dabei – im (Frei-)Geiste Bruckners – der Faktor Improvisation. Dass Bruckner (1824 – 1896) seiner Zeit voraus war und deshalb von Traditionalisten angefeindet wurde, soll auch diese einigermaßen radikale Adaption widerspiegeln.

In der nun auf Platte (auf Dorningers eigenem Base-Label) verewigten Version ist der „Space“, in dem sich die Musik ausbreitet, nicht mehr der Kirchenraum, sondern der digitale Raum im Studio.
Es ändert aber nichts am Charakter dieser Bearbeitung. Und der ist nicht danach, als werde hier ein Konflikt (über eineinhalb Jahrhunderte hinweg) ausgetragen.

Denn Bruckners Musik scheint im Kern unangetastet, wie sehr auch Dorninger mit Effekten und Verzerrungen hineingrätscht oder drüberwummert: Kaum evozieren die „modernistischen“ Eingriffe den Eindruck einer Störung – eigentlich nicht einmal einer krassen Verfremdung.

Bruckner ohne Orgel geht natürlich gar nicht: Domorganist Wolfgang Kreuzhuber © Reinhard Winkler

Viel eher mutet es – eine abenteuerliche „DIY-Seance mit Anton Bruckner“, die eher wie ein Appendix denn als integraler Bestandteil des Werks wirkt, ausgenommen – an, als gehörten beide (vermeintlich) divergierenden Elemente unabdingbar zusammen.

Das ist wohl auch das größte Kompliment, dass man dem Projekt machen kann. Zumal es ja dem Bearbeiter darum gegangen ist, den Geist des Originals zu erfassen.

Ein Live-Mitschnitt der Aufführung kann hier angehört werden; umfassende Info zum gesamten Projekt hier

Dorninger: Bruckner Remixed In Space (Base Records)

Es klingt nicht so, als werde hier ein Konflikt über eineinhalb Jahrhunderte weg ausgetragen.