Weit weg vom Staatstheater-Rock

Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen, eine der geistreichsten und gewitztesten Bands Hamburgs, wird mit einem sonnigen, spielfreudigen neuen Album vorstellig.

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18. Mai 2025

Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen: Egg Benedict (Tapete Records)

Hochstapeln ist mit Sicherheit nicht das Metier dieser freundlichen älteren Herren aus dem hohen Norden Deutschlands: Sie bezeichnen sich als die „zwölftbeste Band West-Hamburgs“ und weisen sich nominell als „gewöhnlich“ aus.

Dabei verzeichnet Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen sogar den Chef von Hamburgs bedeutendstem Indie-Label höchstpersönlich als Mitglied: Gunther Buskies beherbergt als Inhaber von Tapete Records exzellente deutsche und auch österreichische Pop-, Rock- und Elektronik-Acts wie 1000 Robota, Conny Frischauf, Fehlfarben, Andreas Dorau, PeterLicht, Ja, Panik-Kopf Andreas Spechtl mit seinen Solo-Gängen, Die Fische, Schlammpeitziger oder Die Höchste Eisenbahn, Krautrock-Legenden von Conrad Schnitzler über Cluster bis Faust und renommierte internationale Größen wie Comet Gain, Bart Davenport, The Telescopes, Peter Astor, Robert Forster oder Bobby Conn.

Für DLDGG schreibt Buskies mit dem Gitarristen und Sänger Carsten Friedrichs die Songs und schupft multiinstrumentale Agenden. Deren prägnanteste ist ein aufgekratztes Saxophon, mit dem die Gentlemen beizeiten entfernte Echos der Aeronauten wachrufen. Ironischerweise sind übrigens auch die letzten-Aeronauten-Platten bei Buskies Tapete Rec. erschienen.

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Indessen bleibt festzuhalten, dass die Gentlemen – wir müssen schon wieder das Bezeichnende des Namens hervorheben – sich nicht so schlecht gelaunt, sogar latent bedrohlich geben wie die Kollegen aus Schaffhausen (die nach dem viel zu frühen Tod ihres Frontmanns und kreativen Kopfs Oliver Guz Maurmanns im Jahr 2020 wohl kaum mehr richtig in die Gänge kommen werden).

Kooperationen mit Andreas Dorau

Es ist nebenbei bemerkt eine ganz besondere Ironie der Geschichte, dass zwar die Schweizer Aeronauten oft der „legendären“ Hamburger Schule zugerechnet worden sind, die eingeborenen Gentlemen bzw. deren Vorläufer-Projekte wie Superpunk aber kaum. Ihre kooperativen Umtriebe finden auch weniger in den Bereichen des „Diskurs-Rock“ statt als in den Grenzregionen von Pop, Elektronik und höherem Schlager, in denen sich zum Beispiel Andreas Dorau wohlfühlt.

Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen, zuhause in Hamburg (© Bernd Jonkmanns)

Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen hat für Doraus Album „Bibliothèque“ (2014) die Begleitband gemacht; ihr Schlagzeuger Zwanie Jonson (bürgerlich: Christoph Kähler) hat es co-produziert.
Auch für die Wien-Platten (reguläre wie Bonus-Edition), die Dorau heuer zu Jahresanfang herausgescheibt hat, haben Friedrichs, Buskies und Jonson mehrere textliche und musikalische Beiträge gespendet.

Dorau seinerseits ist auf dem neuen DLDGG-Album „Egg Benedict“ (sic!) Gast-Stimme und Co-Autor einer Hommage an Hedy Lamarr. „Hedy Lamarrs siebter Mann“ heißt sie und sagt: „Sechs mal trat sie vor den Traualtar / und all diese Männer wurden Mr. Lamarr / und wenn ich schon nicht wie Hedy sein kann / gern wär´ ich gewesen ihr siebter Mann“.

Das mit dem siebten Mann geht sich nicht mehr aus, aber „Egg Benedict“ ist zumindest die siebte reguläre LP der Gentlemen: Eine sonnige, vor Charme, Witz und Spielfreude sprühende Mixtur aus allem, was die Band ausmacht – als da wären: Ein Power-Pop, dem man die Sozialisation durch Punk immer noch aufs Sympathischste anhört, ein Hauch von Motown und eine Prise Ska, mit der die Musik hin und wieder eine etwas verrücktere Gangart einschlägt (ungefähr wie Enten, die zu schnell watscheln).

Ambivalenzen

Eigentlich fängt die Platte melancholisch an: Wenn Herbst und Winter kommen, die Blätter abfallen, „dann ist´s vorbei, das schöne Leben“. Doch während es stürmt und regnet, früh dämmert und „im Rinnsal ein Weihnachtsbaum liegt„, nimmt sich eine Dame mit leichter Pernod-Fahne des Protagonisten an und erinnert ihn: „Es ist immer Sommer irgendwo“.

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Merke: es gibt in der Welt der Gewöhnlichen Gentlemen kein Schwarz und Weiß, keine Ausschließlichkeiten, sondern vor allem Ambivalenzen. Sie können unterschwellig sein wie im stark auf Sixties getrimmten Pop-Song „Ich geh lieber allein“, der trotzig die gemeinschaftsstiftende Botschaft der englischen Fußball-Hymne „You’ll Never Walk Alone“ in ihr Gegenteil verkehrt: „Das könnt‘ auch eine Drohung sein / denn ich, ich geh lieber allein“. Die Enge, das Gedränge, die Austauschbarkeit in der Menge – nein danke!, räsonniert Friedrichs, um für einen Moment einzuräumen, nun ja, ganz insgeheim… möchte man vielleicht doch dazugehören.
Unvermutete Lösungen tun sich wiederum in der Hänger-Hymne „Wenn du ein Problem hast“, in der notabene die oben angesprochene Ähnlichkeit mit den Aeronauten am deutlichsten zu Tage tritt, auf. Und zwar in Form eines Mannes, der aussieht wie Hugo Pratts Comic-Captain Corto Maltese und den Ich-Erzähler schulterklopfend belehrt: „Das Leben ist ein Selbstzweck“ – und ihm rät: „Wenn du ein Problem hast, scheiß drauf“.
Auch ein bacchantisches „Picknick auf Schloss Mühlenhof“ erweckt ein Comic-Szenario zu Leben – sein Schauplatz ist das berühmte Schloss des Zeichners Hergé und in ihm tummelt sich ausgelassen die Belegschaft von „Tim und Struppi“.

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Geldknappheit, Schimmel an der Wand und Berge von Pfandflaschen im Flur können nicht den „Frühling in Dur“ vermiesen; Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen weiß allerdings, wann es gilt, Kante zu zeigen. „Song für die ALU“ ist solchermaßen ein vorbehaltsloses Loblied auf die Gewerkschaft, die speziell die Belange der Belegschaft des Versandriesen Amazon vertritt.

Ein Benefit von Tapete Records ist seit jeher gewesen, dass sie meist recht kluge und launige Waschzettel zu ihren Veröffentlichungen ausgeschickt haben. Dass Gunther Buskies sich hier besonders ins Zeug gelegt hat, liegt auf der Hand. Jedenfalls begleitet das „Egg Benedict“ der Liga der gewöhnlichen Gentlemen eine ausnehmend gescheite und sympathische Charakteristik: „Erfrischend weit weg vom zeitgenössischem Staatstheater- und Feuilleton-Rock.“

Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen: Egg Benedict (Tapete Records)

Die Gentlemen vermeiden Schwarz-Weiß-Malerei, wissen aber genau, wann es gilt, Kante zu zeigen.