Das Gravitationsgesetz des Pop
Eine kleine Bücher-Rundschau – unter besonderer Berücksichtigung des Essaybandes „What Goes Up Must Come Down“ des österreichischen Autors & Musikers Hans Platzgumer.

Kenntnisreiche Essays: Hans Platzgumer über die Evolution von Pop(Stilen). (© Schmickl)
An Pop-Büchern fehlt es heuer wahrlich nicht. Neben den beiden ehemaligen Konzert- und Musikmanagern Edek Bartz und Stefan Redelsteiner, die ihre jeweiligen Lebenserinnerungen bewährten „Falter“-Journalisten anvertraut haben, die daraus unterhaltsame Bücher kompilierten (Klaus Nüchtern mit Bartz: „Interessant, du, faktisch…“, Residenz Verlag; Gerhard Stöger mit Redelsteiner: „Der Problembär“, Falter Verlag), folgt im August noch ein Band mit Erinnerungen von Marco Wanda himself, und zwar an die Jahre des bisherigen (Band-)Erfolgs – und welchen Preis das alles gekostet hat („Dass es uns überhaupt gegeben hat“, Zsolnay).

Songs für alle Lebenslagen – quer durch den Pop-Gemüsegarten… (© Schmickl)
Während Opus-Gründer & -Gitarrist Ewald Pfleger in seiner Autobiografie „Live Is Life“ (Ueberreuter) die Bilanz (s)eines „Lebens mit einem Welthit“ zieht, legt der deutsche Pop-Journalist Michael Behrendt eine „Playlist zum Glück“ mit „99 ½ Songs für ein erfülltes Leben“ (Reclam) vor, quasi einen Soundtrack für alle Lebenslagen, quer durch den Pop-Gemüsegarten (mit Songs von u.a. Bob Dylan, David Bowie, Peter Gabriel, Tears for Fears, Reinhard Mey, Christina Stürmer, Oehl, Großstadtgeflüster und Taylor Swift), was sich trotz manch interessanter Song-Historie in individueller Beliebigkeit verliert und für Leser letztlich genauso viel bzw. wenig persönliche Bedeutung hat wie übliche Ratgeber dieser Art.
Betont flach gehaltener Witz
Origineller ist da schon der Reader „Eine mögliche Geschichte der deutschen Popmusik“ (Satyr Verlag) der Spaß-Guerilla-Truppe Luksan Wunder, die kürzlich im Wiener Stadtsaal ihr Live-Debüt in Österreich gab (mit einer knallig-bunten Mischung aus Videos, Sketches und Pop-Parodien). In dem aufwändig gestalteten Band legt das deutsche Quintett eine satirisch gepfefferte Pop-Geschichtsschreibung vor, die von Beat über Krautrock, Liedermacher, Neo-Schlager, NDW bis zu „Diagnostikpop“ und „Saufmusik“ reicht, worin tatsächlich existierende Acts mit erfundenen wild gekreuzt & durcheinandergewirbelt werden.
Der Witz wird dabei betont flach gehalten („Bier Wolfmann“ etwa bei den Liedermachern), manchmal springen aber auch absurd schräge Pointen heraus, etwa wenn „Austropop“ folgendermaßen charakterisiert wird: „Die musikalische Bandbreite im Austropop reicht von Stadionrock (Opus, Maria Guzl) über Sprechgesang (Führerdatschi, Falco) und Liedermacher (Fendrich, Hirsch, Am boss) bis hin zur karnevalesken Comedy (E.A.V., Scheidnkläster & Söhne) oder Punk (Quergschissn).“
Wirklich skurril ist eine idiomatisch kreative Steirerpop-Verarschung, die (wie eine Reihe weiterer „Fallbeispiele“) auch als Video existiert, als „Wapfel in die Gruadln“ von Armbutter.
Mit Abstand am meisten Relevanz – sowohl in Sachen Pop-Reflexion als auch in sprachlich-stilistischer Hinsicht – kann der Band „What Goes Up Must Come Down. Kleine Geschichte der Popmusik“ von Hans Platzgumer (erschienen bei bahoe books) für sich in Anspruch nehmen. Das liegt natürlich daran, dass hier ein international erfolgreicher Pop- & Rockmusiker wirklich weiß, wovon er schreibt – und dies als mittlerweile renommierter Schriftsteller auch dementsprechend kann.

Nach & neben seiner Karriere als Musiker hat Hans Platzgumer eine ebensolche veritable als Schriftsteller hingelegt. (© Wolfgang Paterno)
In zwölf Kapiteln legt der einst als/mit H. P. Zinker bekannte Rockmusiker (der nach New Yorker Jahren mit diesem Bandprojekt u.a. noch bei den Goldenen Zitronen in Hamburg tätig war) eine Art Evolutionsgeschichte des Pop vor. Diese gipfelt in dem Abschnitt „Survival of the Fittest“, welcher das Auf- und Abblühen musikalischer Stile als immanenten kulturellen Prozess beschreibt, in dem Pop seinen eigenen Rhythmen folgt, sich zu keinerlei (äußeren) Anpassungen drängen lässt, um dann „mitunter, wie bei Pussy Riot, innert 41 Sekunden Eingriff ins Weltgeschehen nimmt“.
Derzeit ist für Platzgumer Hip Hop die innovativste und integrativste Gattung: „Hip Hop verarbeitet unaufhörlich sämtliche Einflüsse zu etwas Neuem, etwas, das für Erwachsene oft peinlich, lächerlich, abstoßend wirkt. (…) Hip Hop ist rebellisches Aufschreien gegen Unterdrückung gleich wie sinnentleerter Hedonismus. (…) Hip Hop ist Mainstream und Underground, Old School und New School“. Aber auch für dieses zurzeit global erfolgreichste und prägendste Phänomen wird die Zeit des Abstiegs kommen, denn das – 1968 von Blood, Sweat & Tears im Song „Spinning Wheel“ intonierte – Motto „What Goes Up, Must Come Down“ gilt allgemein und ubiquitär, es ist – wie Platzgumer es nennt – „das Gravitationsgesetz des Pop“.
Gerade noch davongekommen
Das Auf & Ab gilt auch für ihn selbst – und er beschreibt seinen Aufstieg (zum angesagten Musiker in New York) & letztlich milden Absturz in deutlichen Worten: „Ich erlebte selbst, wie mir der Boden unter den Füßen weggezogen wurde, als der Zeitpunkt meines vermeintlichen Durchbruchs gekommen war. Ich war Anfang zwanzig. Kurz zuvor war ich noch ein Innsbrucker Lausbub gewesen.“ Inmitten eines Umfelds aus Drogen („… das High des schnellen Erfolgs zählte zu deren gefährlichsten“), kam Platzgumer gerade noch davon: „Ich bin froh, diese Phase überlebt zu haben. Ich habe die Berge des Wahnsinns hinter mir gelassen. Viele, die ich kannte, schafften das nicht.“ Und er führt Kurt Cobains Schicksal an, das er „nahe an meinem eigenen Werdegang entlang“ empfand.
Heute lebt der 56-Jährige, der eine Zeit lang auch mit elektronischer Musik experimentierte und als DJ tätig war, mit Frau und zwei Kindern in Wien und Vorarlberg, schreibt Romane, Novellen und Essays – und macht mit der Band Convertible feinen, zeitlosen Pop, wovon seit mehr als 20 Jahren alle paar Jahre erscheinende Platten erfreuliches Zeugnis ablegen. Heuer ist, fast zeitgleich zu dem sehr schön gestalteten Buch (aus der bahoe-Reihe „Bibliothek des Alltags“), das Album „Favorite Record“ erschienen, mit neun Songs, die in ihrer Unaufgeregtheit und einer Beatles-haften Anmutung zu bezaubern wissen (und mitunter an Robert Rotifers ähnlich geartetes musikalisches Schaffen erinnern – einem anderen unserer international tätigen Pop-Schreiber & Musiker).

Convertible: Favorite Record (Noise Appeal Records)
„Favorite Record“ heißt auch das abschließende Kurzkapitel des Buches, in dem Platzgumer sein persönliches Lieblingslied vorstellt – denn es ist wohl nur den wenigsten bekannt: „Seabird“ von den Alessi Brothers. Warum es dieser Song geworden ist, erzählt er in einer berührend persönlichen Episode. Es ist der letzte – auf einer im Buch mittels QR-Code abruf- & streambaren – Playlist von 55 für Platzgumer essenziellen Songs, während das Album mit der elektronischen Meditation „Blip In Time“ ausklingt.
Hier bleibt zum Abschluss nur Platzgumers (und übrigens auch meinem) Lieblingswirten in Wien-Wieden zu danken, der den Musiker & Autor zu diesen in jeder Hinsicht anregenden Essays animiert hat.
Buchpräsentationen: 5. Juni, Analog, Wien; 13. Juni, Musilhaus, Klagenfurt.

Kenntnisreiche Essays: Hans Platzgumer über die Evolution von Pop(Stilen). (© Schmickl)
„Ich erlebte selbst, wie mir der Boden unter den Füßen weggezogen wurde, als der Zeitpunkt meines vermeintlichen Durchbruchs gekommen war. Kurz zuvor war ich noch ein Innsbrucker Lausbub gewesen.“ (Hans Platzgumer)