Gifttrank und Verzauberung
Das neue Album der US-Experimental-Rockband Xiu Xiu ist eine Ermutigung, Monstern aller Art zu trotzen – und bietet großartiges Ohrenkino.

Xiu Xiu: 13" Frank Beltrame Italian Stiletto with Bison Horn Grips (Polyvinyl/Rough Trade)
Jamie Stewart, neben Angela Seo die einzige Konstante von Xiu Xiu in den letzten Jahren, zog Anfang der 2010er Jahre zurück nach Los Angeles, wo er auch aufwuchs. Doch die nunmehrige Nachbarschaft konnte ein „frightening place“ sein. Die bedrohliche Umgebung wirkte sich auf den Schaffensprozess des damaligen Albums „Angel Guts: Red Classroom“ aus, das 2014 erschien: „We tried to have the music to reflect that fear and constant tension“, bekannte Stewart in einem Interview mit dem damaligen „extra“ der „Wiener Zeitung“.
Nun, zehn Jahre später, ist die Band nach Berlin übersiedelt und residiert angeblich in einem ehemaligen Computergeschäft, in dem einst auch Blixa Bargeld, Frontmann der Einstürzenden Neubauten, einen Computer erstand. Wieder scheint sich der Lebensraum auf die Musik ausgewirkt zu haben: Das im Vergleich zu Los Angeles weniger beklemmende, weniger furchteinflößende Berlin hat eine zugänglichere Grundstimmung befördert, als ob der Horror der Vergangenheit angehöre. Dazu passt es, dass sich zu den üblichen Merchandise-Artikeln wie T-Shirts mittlerweile auch Shorts, Becher und Messer (!) gesellen. Neuerdings wirbt sogar Industry Ales, eine Brauerei in Chicago, damit, zusammen mit Xiu Xiu ein Bier zu brauen. Mehr Lebensfreude geht kaum.
Grundsätzlich tendiert Xiu Xiu indes zu einer negativen gesellschaftliche Analyse, Massenmörder, Vergewaltiger und Kinderschänder inklusive – geschildert als bildreiche Zustände der Realität. Mit schonungsloser Ehrlichkeit wird am Leben verzweifelt, Depression zelebriert, werden Ängste und Unsicherheiten beschworen, Selbstmorde oder unerwiderte Lieben inszeniert. Einflüsse lassen sich bei Joy Division und The Cure, aber auch bei den Einstürzenden Neubauten, Suicide, Scott Walker, Nico, Kraftwerk oder auch Nina Simone ausmachen. Von der rabenschwarzen Tristesse weicht das neue Album ein Stück weit ab, auch wenn es mit einer Klage beginnt: „I have done almost nothing right. My entire adult Life.“ „Arp Omni“, in Streicher gebettet, ist ein trauriges Lamento.
Schnappmesser und Mörder um die Ecke
Nach dem existenziell bedrohlichen Album „Ignore Grief“ vom vergangenen Jahr wechselt Xiu Xiu ins Intime, Fragile wie ins Poppige. Das grimmige „Maestro One Chord“ klingt nach Widerstand gegen die Unbilden des Lebens, „courious and unafraid“, wie eine Computerstimme den Refrain wiederholt. Nach mittlerweile 14 Studioalben besticht Xiu Xiu immer noch mit einem erfrischenden melodiösen Ideenreichtum. Wieder abgemischt von John Congleton, Produzent von Künstlern wie Blondie, Nilüfer Yanya oder Sparks, und wie beim Album zuvor mit David Kendrick am Schlagzeug ist so das eingängigste Werk seit „Forget“ (2017) entstanden.
Aber Xiu Xiu wäre nicht Xiu Xiu, wenn nicht in jedem Song Tricks und Fallen lauern würden. So führt „Pale Flower“ mit anfänglicher Sanftheit in die Irre, um dann in Percussionkaskaden zu kulminieren. „Veneficium“, ein Begriff, der aus dem Lateinischen stammt, Zauberei wie Giftmischerei und Vergiftung bedeutet und Name des oben erwähnten Bieres ist, gibt sich orchestral mit karnevalesker Attitüde und erinnert ganz nebenbei an das Album „The Air Force“ (2006). Ob „T.D.F.T.W.“, „Sleep Blvd.“ oder das wunderbare, nervös experimentelle „Bobby Bland“: Xiu Xiu bietet großartiges Ohrenkino, bei dem auch ein Mörder an der nächsten Ecke lauern könnte. Und so ist „13″“ (der volle Name des neuen Albums, „13″ Frank Beltrame Italian Stiletto with Bison Horn Grips”, geht auf ein Schnappmesser zurück, das Stewart angeblich besitzt) ein Gifttrank voller Abgründe wie auch eine Verzauberung voller überraschender Wendungen. War also der Horror doch nicht bloß von gestern? Er kehrt wieder und wird bleiben. Das neue Album ist eine Ermutigung, den Monstern zu trotzen.

Xiu Xiu: 13" Frank Beltrame Italian Stiletto with Bison Horn Grips (Polyvinyl/Rough Trade)
Nach mittlerweile 14 Studioalben besticht Xiu Xiu immer noch mit einem erfrischenden melodiösen Ideenreichtum; aber in jedem Song lauern Tricks und Fallen