Das Beste, das wir nicht gespielt haben (2)

Charli XCX: Es gibt kein Entkommen. Himmlisch: The Telescopes. Ambitioniert reduziert: Douglas Dare. Einfach schön: Weihnachten mit den Schick Sisters.

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18. Dezember 2024

Die Lust und Last, Pop-Ikone und It-Girl zu sein: Charli XCX (© Atlantic)

Hier muss es wieder einmal sein, das berüchtigte i-Wort mit drei Buchstaben: Also, ich habe mich das ganze Jahr über redlich bemüht, einen großen Bogen um Charli XCX zu machen. Adelstitel wie Platte des Jahres im amerikanischen „Rolling Stone“, ein lauschiges Plätzchen auf der Shortlist für den Mercury Prize, Branding als „Best New Music“ in der „Pitchfork“-Review  und ungefähr 97 Grammy-Nominierungen haben dem Vorsatz nichts anzuhaben vermocht – wohl aber das Wiederhören zum Jahresausklang: „Brat“, Charlis sechstes Album (Atlantic), ist einfach zu raffiniert in Szene gesetzt, um guten Gewissens ignoriert werden zu können.

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Dabei ist es nicht etwa so, dass die (für den ganzen Hyperpop charakteristische) Selbstreferenzialität der Texte nun etwa erträglicher geworden wäre. Jedem darin geschilderten Lidschatten- und Nagellackstrich scheint da dissertationswürdige Bedeutung in schlauen Feuilleton-Artikeln und Magazinen eingeräumt zu werden, und ich frage mich ratlos, wie lange sich Rezensenten noch ein ums andere Mal erzählen lassen wollen, wie schwierig es ist, die Rolle eines It-Girls gleichzeitig auszufüllen und – dissident wollen wir ja auch sein – ein bisserl zu sabotieren, wie belastend das Popstar-Dasein für Beziehungen zu anderen Menschen und natürlich auch für die persönliche Psyche ist. Wie gerne man doch manchmal die Uhr zurückstellen und noch einmal „normaler Mensch“ sein würde.

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Charlotte Aitchison, wie Charli XCX bürgerlich heißt, kann allerdings schon etwas mehr als nur die eigene Starexistenz reflektieren. „So I“ ist eine würdige, berührende Hommage an die verstorbene Elektronik-Pionierin SOPHIE, die Charli als Mentorin ansah; in „I Think About It All The Time“, in der die Sängerin nicht ganz ohne Neid das Mutterglück einer Freundin schildert, wird die Diskrepanz zwischen öffentlicher Persona und privaten Sehnsüchten tatsächlich auf einen schlüssigen Punkt gebracht.

Und als gelernte Songwriterin versteht sich Charli XCX schließlich auch auf die Kreation brauch- und haltbarer Stücke. Neben den genannten sind hier etwa die druckvolle Synthipop-Vorabsingle „Von Dutch“, der melodiestarke Opener „360“ oder das distinguierte „Apple“ herauszustreichen.
Anders als etwa bei Dua Lipa sind bei den meisten Songs auf „Brat“ nur ein, zwei Co-Autoren am Werk – in der Regel die jeweiligen Produzenten, deren die Platte (mit Charli selbst) insgesamt 11 aufweist und von denen am häufigsten Alexander Guy Cook und Charlis Langzeit-Kollaborator Finn Keane, beide auf den Elektronik- und Hyperpop-Bereich spezialisiert, zum Einsatz kommen. Außerdem haben an „Brat“ u.a. Charlis Lebenspartner George Daniel, Schlagzeuger von The 1975, und der französische Star-Produzent Gesaffelstein Hand angelegt.

Ihrem Wesen nach sind solche vollelektronisch gefertigten Platten Teamwork. Das ist als Gegengift zum „genial(isch)en Subjekt“, das Rock- und Folk-Musik gerne fetischisieren, auch ganz gut so. Wenn allerdings eine Remix– und Reworks-Version das originale Werk in mancher Hinsicht aussticht, wird´s etwas seltsam. Genau das ist aber bei „Brat And It’s Completely Different But Also Still Brat“ der Fall.

Charli XCX bei einer Live-Performance in New York (© Howard Weiss / Wikipedia)

Was der Titel verheißt, hält die Platte tatsächlich: Es ist deutlich erkennbar immer noch „Brat“, aber – anders gemixt, mit prominenten Gastsänger/innen, bisweilen textlich nicht unwesentlich verändert – auf gewisse Weise auch eine neue, jedenfalls für sich stehende Platte.
The Strokes-Vokalist Julian Casablancas etwa infiltriert gesanglich „Mean Girls“ – einen dieser aufmüpfigen, wenn auch recht plakativen Rollen-Verweigerungs-Songs, notabene – mit einem melodiösen Twist, der ihn fast in die Nähe des Yes-Hits „Owner Of A Lonely Heart“ rückt. Gleich danach bringt Bon Iver als Charlis Komplementärstimme Seele in „I Think About It All The Time“. Billie Eilish erweitert „Guess“ zu einem Wechselspiel zwischen heterosexuellen und queeren Begierden. Keine Frage – wenn man einem Werk ein zweites Gesicht geben will, dann ist das eine brauchbare Operationsmethode.

Klangliche Schwebezustände

Wie Charli XCX hatten auch The Telescopes ein erfülltes Jahr. Im Frühling veröffentlichte ihr gegenwärtiges Label Tapete Records ihre im Laufe von drei Jahren (2016 – 2019) eingespielten „Radio Sessions“. Etwas vereinfacht gesagt, zeigen sie die klassische Seite der seit den mittleren 80ern aktiven Band um Sänger/Songschreiber Stephen Lawrie, die Genres und Subgenres wie Noise Rock, Shoegaze, Dreampop oder Drone maßgeblich mitgestaltet hat, dabei aber karrieristisch nie vom Glück verwöhnt worden ist.

Stephen Lawrie, der kreative Kopf der Telescopes (© Butterfly House)

Lawrie und seine häufig wechselnden Erfüllungsgehilfen geben ordentlich Stoff, machen Druck mit repetitiven Rhythmus-Schleifen, Feedback, irgendwie permanent zugedröhnt (sic!) anmutendem Gesang und tollen Lärmeffekten, die manchmal nach Hubschrauberstaffel, manchmal nach Presslufthammer klingen.

Wie sehr sich diese Band, der große Einflüsse auf Acts wie Black Rebel Motorcycle Club, The Brian Jonestown Massacre, Mogwai und sogar Portis- und Radiohead zugeschrieben werden, weiterentwickelt hat, führt ihre erst vor wenig mehr als einem Monat erschienene LP „Halo Moon“ vor.

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Dabei schließt der stur-monotone Rhythmus des Openers „Shake It All Out“ als Träger für dröhnende Gitarren und Lawries fast tonlosen Gesang noch relativ nahtlos an den gewohnten Sound von The Telescopes an. Danach aber löst sich die Musik, betört von der suggestiven Magie Gospel-artiger Melodien und der Kunst klanglicher Schwebezustände, von den Fesseln der Schwerkraft und steigt, wie es ja der LP-Titel und natürlich auch der Bandname insinuieren, himmelwärts – ungefähr in die Sphären der Spaceman 3. Viel Besseres kann über eine Rock-Platte nicht gesagt werden.

Hedonismus ist angesagt

Douglas Dare, der sich als empfindsamer, pianozentrierter Singer/Songwriter etabliert hat, verschreibt sich auf seinem vierten Album „Omni“ (Erased Tapes), ganz der Elektronik. Für Dare, dessen Stimme bisweilen der von Belle & Sebastians Stuart Murdoch frappant ähnelt, bedeutet das eine bewusst in Kauf genommene Verknappung, war er doch bisher mit einer Art Chamber-Pop zwischen Klassik, Folk und Pop ganz gut gefahren. Es ist indes das Resultat einer in mehrerlei Hinsicht logischen Entwicklung, da nach seinem relativ opulenten Growing-up-Album „Milkteeth“ von 2020 diese reduzierte Form recht gut zum bekennenden Hedonismus von „Omni“ passt. Maßgeblich inspiriert hat den queeren Musiker zu diesem stilistischen Wandel übrigens zur Abwechslung SOPHIE.

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Stil- und geschmackssicher

Weil Weihnachten ist: Die Schick Sisters, Nachfolgeprojekt der Kabarett-Pop-Band Die Dornrosen, verschönern das Fest mit (viel-)stimmigen Adaptionen von Weihnachtsklassikern aus dem englischen, hispanischen und deutschen Sprachraum, dazu mit Songs, die nicht unmittelbar mit Weihnachten zu tun haben, aber gut dazu passen („Imagine“), und ein paar Originalen. Geholfen haben ihnen dabei der 12-fach Grammy-prämierte, durch seine Arbeit für Norah Jones, Eric Clapton, Paul Simon, Stevie Wonder und andere Celebreties bekannte Produzent Jay Newland und heimische Musiker-Prominenz wie Opus-Gitarrist Ewald Pfleger, Saxophonist Wolfgang Puschnig oder die Trompeter Stefan Haimel und Christian Wieder. Das Ergebnis, in 12 Songs auf der LP „A Sisters Christmas“ (Warner) festgehalten, ist wunderbar stilsichere, fein abgestimmte Feiertagsmusik – um Klassen besser als handelsübliche anlassbezogene Konfektionsware.
(Live: 19.12. Fieberbrunn / Festsaal, 20.12. Göfis / Vereinshaus, 22.12. Wien / Casa Nova).

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Hier ist Teil 1 von „Das Beste, das wir nicht gespielt haben“.

 

 

 

Die Lust und Last, Pop-Ikone und It-Girl zu sein: Charli XCX (© Atlantic)

Die verstorbene Elektronik-Pionierin SOPHIE beeinflusste einige Platten dieses Jahres.