Handmade Country aus der Küche
Auf „Purple Bird“ bürstet Will Oldham alias Bonnie „Prince“ Billy das uramerikanische Genre sowohl inhaltlich als auch musikalisch reichlich gegen den Strich.

"Hallo America": Alternative Country von Bonnie Prince Billy. (c) David Kasnic
Eigentlich mag Will Oldham keine Produzenten. Wie sonst ist es zu erklären, dass das gefühlt 30. Album dieses schratigsten aller schratigen Solitäre des Americana-Genres erst das zweite ist, das er mit einem professionellen Producer erarbeitet hat? David „Ferg“ Ferguson (damals noch Toningenieur) hatte er einst im Studio von Produzentenlegende Rick Rubin kennen gelernt, als Johnny Cash im Zuge seiner „American Recordings“ Oldhams düsteres „I See a Darkness“ gecovert und damit dem Great American Songbook eingeschrieben hatte. (Nebenbei: Ernst Molden hat diesen Song zusammen mit dem Nino aus Wien als „I siech wos finstas“ ins Österreichische übersetzt). Oldham hatte den großen alten Mann des Country damals am Klavier begleitet – und sich nun offenbar gedacht: Wenn ich schon ein Country-Album mache, dann erstens mit einem einschlägig ausgewiesenen Produzenten und zweitens in der Herzkammer des Country, nämlich in Nashville, Tennessee.
Zwei Ikonen des Country
Natürlich stand Oldham, der inzwischen offenbar endgültig zu seinem Alias Bonnie „Prince“ Billy mutiert ist, schon immer mit einem Bein im Country (immerhin stammt er aus Louisville, Kentucky), aber erst jetzt, mit 55 Jahren, hat er sich auf einem Album ganz und gar diesem uramerikanischen Genre verschrieben – mit einer ganze Riege der renommiertesten Country-Musiker, die Nashville aufzubieten hat und die die ganze Palette des einschlägigen Instrumentariums beisteuern: Banjo, Fiddle, Mandoline, Akkordeon, Peddle Steel Guitar, Pipes, Washboard und so weiter. Und bei zwei Songs sind wahre Ikonen des Country mit von der Partie: John Anderson („Downstream“) und Tim O’Brien („Our Home“).
Aber wie immer bei Oldham aka Bonnie „Prince“ Billy gilt ein Grundsatz garantiert nicht: What you hear is what you get. Oder anders gewendet: Was auf den ersten Blick und mit den ersten Klängen wie ein konventionelles Country-Album anmuten könnte, erweist sich gleich im Opener „Turned to Dust“ als doppel- und dreifachbödiges Spiel mit dem Genre. Denn der klassische Topos vom „Rolling on“ hat hier nichts mit großer Freiheit und stetem Auf-Achse-Sein zu tun, sondern mit einem trotzigen Lebens-Dennoch: Wir alle sind nur Gast hier auf Erden und werden uns in nicht allzu ferner Zukunft wieder zu Staub verwandeln. Und welch herrliche Ironie steckt darin, wenn Oldham „In God we trust“ auf „Turned to dust“ reimt!
So geht es munter weiter: Die Liebe überwindet rein gar nichts („London May“); Schusswaffen sind was für Feiglinge („Guns are for Cowards“); und welcher gestandene Cowboy legt sich nachts schon betrunken zu den Hunden („Tonight With the Dogs I’m Sleeping“)?
Eigenbrötlerisch und virtuos
Doch nicht nur die feinsinnigen Texte sind reichlich gegen den Country-Strich gebürstet – in „Downstream“ geht es um den immer dramatischeren Klimawandel –, auch musikalisch schleichen sich immer wieder Unter- und Zwischentöne ein: mal ein grooviges Keyboard, mal eine verzerrte E-Gitarre, mal getragene, jazzig angehauchte Bläser. Eigenwilliger, eigenbrötlerischer Alternative Country ist das, handmade und zugleich virtuos eingespielt nicht im Studio, sondern zu Hause in der Küche.

Bonnie „Prince“ Billy: The Purple Bird (Domino/GoodToGo)
„The Purple Bird“ beweist einmal mehr die Songwriting-Kunst des Will Oldham, sein souveränes, aber nie wohlfeiles oder billiges Spiel mit Genres und Traditionen. Und bei aller mitunter zur Schau gestellten Country-Seligkeit zieht sich doch die oldhamtypische Melancholie durch die zwölf Songs. Nicht alle werden es ins Great American Songbook schaffen, aber drei sind doch heiße Anwärter: die wunderbar traurige Verlierer-Ballade „Boise, Idaho“, das tiefgründige „Is My Living in Vain?“ und das hauchzarte „Sometimes It’s Hard to Breathe“. Dort stellt Oldham die zweifelnde, hoffnungsvolle Frage: „For a while, can it almost all make sense? / For a while, can this endless life seem fine?“ Für die Dauer dieses Albums auf jeden Fall!

"Hallo America": Alternative Country von Bonnie Prince Billy. (c) David Kasnic
Welch herrliche Ironie steckt darin, wenn Oldham „In God we trust“ auf „Turned to dust“ reimt!