Schätze, die ihre Finder suchten

Es gab 2025 viel zu entdecken: Aus heimischer Produktion die noch immer kriminell ignorierten Love God Chaos und die Live-Power einer vermeintlich linkischen jungen Oberösterreicherin; international große Individualisten wie Richard Dawson und vieles andere mehr.

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26. Dezember 2025

Was er zu sagen hat, sagt er im Regelfall eher nicht durch die Blume, dafür mit beispielloser Grandezza: Richard Dawson (© Sally Pilkington)

Nicht, dass ich noch sehr häufig in Konzerte ginge. Daher ist aus dem Folgenden kein repräsentativer Anspruch abzuleiten. Aber erzählt werden sollte es doch.

Mein Konzert des Jahres fand vor ca. 150 Personen im knackevollen Rhiz im Gürtelbogen statt. Feber Wolle – eines dieser rührigen Wiener Indie-Labels, ohne die es das österreichische Pop-Wunder so nicht geben würde – hatte zu einem Abend mit der queeren, aus Oberösterreich stammenden Liedermacherin kleinabaoho geladen.

kleinabaoho macht Songs, die in musikalisch zumeist konventionellem Format und bisweilen etwas eigenwilliger Metaphorik Geschichten über queere Beziehungen erzählen, die auch nicht-queere Menschen erreichen wollen.

Queerer Indie-Pop/Rock auch für Nicht-Queere: kleinabaoho (© Leonie Zettl)

Ich fand ihren gitarrenbetonten, in Remixes ab und zu auch elektronisch beeinschlagten Indie-Pop/Rock immer recht okay, daher wurde kleinabaoho schon mehrmals auf diesem Portal wohlwollend erwähnt, aber grundsätzlich war der Besuch ihres Headliner-Debüts eher diffuser Neugier als genuin großen Erwartungen geschuldet.

Eine Erwartungshaltung…

Wie man weiß, entspricht kleinabaoho nicht Model-Maßen. Sie vermittelt überdies, bebrillt, auf attraktivierendes Styling verzichtend, stattdessen Verletzlichkeit zeigend, einen etwas linkischen Eindruck – der natürlich in einem Geschäft, dessen Protagonisten sich im Regelfall möglichst vorteilhaft darzustellen belieben, umso krasser auffällt.

Wissend, eine problematische, weil klischeebeladene Prädisposition zu offenbaren, „gestehe“ ich, viele kleinabaoho-Lookalikes im Konzert erwartet zu haben. Dass also der erste abendfüllende Auftritt der Sängerin eine Art Solidaritätstreffen von Menschen werden würde, die gängigen Schönheitsidealen nicht entsprechen können oder wollen.

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Hinter dieser Erwartung standen durchaus lautere Absichten: Die Lust auf Sabotage der unseligen, aus Stromlinien-Idealen, (meist unhinterfragten) Marktgesetzen und einfach alterhergebrachten Konventionen zusammengeschusterten Business-Ästhetik mit ihrem ungeschriebenen Gesetz, dass Pop-Performer apart, schlank und cool zu sein hätten sein.
Christl und Bipolar Feminin-Frontfrau Leni Ulrich haben hierzulande dieses Diktat ja schon etwas erodiert.

… im Clash mit der Realität

Ich kann mich nicht erinnern, je eine derartige Dichte an gutaussehenden jungen Menschen bei einem Konzert gesehen zu haben. Und eine derartig gute, animiert-beseelte Stimmung erlebt zu haben wie an diesem Tag im Mai im Rhiz. Bei kleinabaoho.

Empathie war da zu spüren, und eine Gemeinschaftlichkeit, die eine Power generierte, die sich auf die Akteure auf der Bühne übertrug und von dort zurückgegeben wurde. Damit wurde eine Musik, der ich an sich nicht mehr als ein freundliches „ganz okay“ geben würde, zu einem energetischen Vehikel der Selbstermächtigung.

Der Intensität der Darbietung von kleinabaoho bin ich – wenn auch ohne die durchdringende Verbündung von Künstler und Publikum bzw. des Publikums untereinander – bei einem Auftritt Chris Imlers im Flex Café wiederbegegnet.

Chris Imler bei seiner durchdringenden Performance im Flex Café (© Jaschke)

Imler ist ein Wegbegleiter des großen, enorm vielseitigen Berliner Sängers und Songschmieds Jens Friebe. Seit vielen Jahren ist er aber auch ein profilierter Künstler von eigenen Gnaden, und dass der englische „Guardian“ sein heuriges, überwiegend deutsch intoniertes Album „The Internet Will Break My Heart“ erstens überhaupt und zweitens sehr positiv besprochen hat, bezeichnet vielleicht griffiger als lange Erklärungen seine künstlerische Gewichtsklasse und auch seinen internationalen Ruf.

Imlers (Live-)Instrumentarium sind eine harte Stimme und das Schlagzeug, das er im Stehen spielt. Wie er im Flex Café vor vielleicht 50 Menschen unnachgiebig in die Felle drosch und zu seriell elektronischer Begleitung, die gute Erinnerungen an Suicide und bisweilen auch DAF weckte, dreisprachig (inklusive französischer Einsprengsel) über die Absurdität der sozialen Medien und der Schiachen Neuen Welt des Word Wide Web herzog, war mitreißend und in mehrerlei Hinsicht erschöpfend.
Aus der Sicht des Künstlers insofern, als er sich zwischen zwei Zugaben, statt theatralisch abzugehen und wiederzukommen, einfach auf den Boden setzte und an die Wand lehnte.

Was sonst noch war

Bei der Bilanz des Jahres 2025 bin ich grosso modo bei Heimo Mürzl: Das ganz große Ding gab´s wohl nicht, trotzdem war es ein (sehr) gutes Jahr mit tollen Platten.

Wie immer machen in so einem Bedingungsgefüge große Individualisten das Rennen. Die Nachkommen Van Morrisons, dessen „Astral Weeks“ von 1968 das erste stilistisch nicht mehr an seine Entstehungszeit gekoppelte Meisterwerk des Pop war.

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Voriges Jahr reüssierte auf diesem Terrain Tom Fleming (unter seinem Moniker One True Pairing); 2025 überstrahlte Richard Dawson alle Mitbewerber: Ein spröder, (heraus)fordernder, dafür eigentlich eh leidlich gut akzeptierter britischer Sänger, Songschreiber und Gitarrist von enormer kreativer Energie, die er nicht nur als Solist auslebt, sondern auch auch als Teil von Formationen wie dem walisischen Quartett Hen Ogledd, von dem im nächsten Februar ein formidabler neuer Longplayer ansteht.

Auf seinem diesjährigem Album „End Of The Middle“ erzählt Dawson eine mehrere Generationen überspannende Familiengeschichte, für die er eine gleichermaßen kühne wie für seine Verhältnisse nachgerade sensationell einladende Mischung aus Folk, Rock, Kammermusik und Jazz gefunden hat.

Gegenentwürfe zum Hohelied des Individualimus gab´s natürlich schon auch. Deren eindrucksvollster kam vom virtuosen Londoner Sextett Black Country New Road.

Neu aufgestellt: Black Country New Road (© Eddie Whelan)

Sie haben sich nach dem Abgang ihres Sängers und Songwriters Isaac Wood im wahrsten Wortsinn neu aufgestellt – die drei Damen in der Band haben nun das Sagen, Singen und Schreiben. Ohne ihren im Rock-Jazz liegenden Ursprüngen gänzlich abzuschwören, haben sich BCNR auf ihrem vierten Album „Forever Howlong“ stilistisch entgrenzt und präsentieren sich, ganz nebenher bemerkt mit gewaltig viel Charme, als die legitimen Erben der so großen wie weitgehend unbedankten Freak-Folk-Urahnen Pentangle.

Im avantgardenahen Bereich überzeugte in diesem Jahr besonders das kalifornische HipHop-Trio Clipping., dessen hörspielartiges dystopisches Cyberpunk-meets-HipHop-Album „Dead Channel Sky“ mit öfterem Hören noch wächst – nicht nur wegen der düsteren Inhalte und behänden Wortspiele, sondern auch wegen der kühnen elektronischen Effekte, die außer Eindruck durchaus auch Spaß machen (so wie auch der folgende akustische Set am Tiny Desk des Rundfunknetzwerks NPR).

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Was war sonst? Endlich dort, wo sie hingehören, sind 2025 Frankie Cosmos angelangt; ihre Klasse bestätigt haben Austra, Beirut, The Divine Comedy, These New Puritans und Panda Bear.
Neuerlich d’accord mit Mürzl, war ich angetan von Ex-Vöid – als Beispiel, wie spannend Rock immer noch sein kann.

Weiters ist in mir – notabene nicht unpassend zur Begeisterung für Black Country New Road – eine alte, aber Jahrzehnte verschüttgewesene Affinität zum Jazz sachte wiedererwacht – Erweckungserlebnisse waren Jimi Tenors Afrobeat-LP „Selenites, Selenites!“ und ein Album, das wir noch gar nicht besprochen haben, aber – versprochen! – nachreichen werden mit einem Schub weiterer Platten, die aus verschiedenen Gründen unverdienterweise im abgelaufenen Jahr nicht zum Zug gekommen sind: Nämlich die klassizistisch angehauchte, majestätisch fließende Soundtrack-Platte „The Smashing Machine“ von der belgischen Komponistin, Harfinistin und Keyboarderin Nala Sinephro.

Österreich hat üppig geliefert

Wie über die letzten 15 und mehr Jahre immer hat Österreich auch 2025 üppig geliefert. Einen Quantensprung hat Clara Luzia mit ihrer Formation The Quiet Version vollzogen, nicht nur, weil sie sich damit stärker denn je über deutsche Texte traut, sondern auch wegen der akzentuierten Vielfalt der Musik.

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TV-Serien-„Biester“ infiltrieren den österreichischen Pop: Claudia Kottal ist ein prägendes Mitglied der Quiet Version, Mara Romei bei den Low Life Rich Kids. Zentriert um den von englischsprachiger Liedermacherei kommenden Sänger, Gitarristen und Songschreiber Bernhard Eder, lieferte dieses Power-Pop-Trio „Lieblingslieder“, die definitiv diesem Namen gerecht werden.

Ebenfalls begeisternd: Das versatile Rock-Quartett Schottische Prinzip mit seiner stellenweise perfide-abgefeimten, dann wieder einfach bezaubernden zweiten LP „Golden Voyager Rec. III.“

Neben Clara Luzia sind zahlreiche andere heimische Legenden und große Namen in diesem Jahr vorstellig geworden. Können Garish etwas falsch machen? Nein, können sie nicht, wie zum 25jährigen Plattenjubiläum ihr achtes, entspannt-flockiges Album „Am Ende wird alles ein Garten“ unterstreicht.

Kreisky, erlöst von der Unsterblichkeit (© Ingo Pertramer)

Die gebührende Anerkennung fanden Kreisky mit ihrem übellaunigen Opus „Adieu Unsterblichkeit“. „Die Zeit ist schlecht und reif für Kreisky“ haben wir dazu getitelt, und das hat noch immer Gültigkeit.

Auch nicht Frohsinn, dafür eine musikalisch elegische, inhaltlich präsise und schonungslose Abrechnung mit dem Patriarchat transportierte Sophie Blenda auf ihrem zweiten Solo-Album „Die Summe der Vereinzelung“.

Und noch einmal richtig wissen wollte es Oliver Welter: Nach erfolgreicher und vielgelobter Schubert-Interpretation mit Pianistin Clara Frühstück und schwerer Krankheit hat er seine Band Naked Lunch reanimiert und und mit „Lights And A Slight Taste Of Death“ ein besonders schwelgerisch-emotionales Werk hingelegt.

Zu überzeugen wussten auch die Exil-Wiener Parc de Triomphe, deren unbetiteltes Debüt-Album von einer nicht rasend freudvollen Jugend in der DDR erzählt und dafür unter Rückgriffen auf düstere New Wave der späten 70er/frühen 80er die passende Musiksprache findet.

Alles in den Schatten gestellt aber haben für mich Love God Chaos. Die vier Grazer mit dem genialischen Sänger und Songschreiber John Krempl sind bei Gott keine Newcomer, sondern versuchen mit ihrem forschen Funk-Art-Rock schon über ein Jahrzehnt lang so großartig wie erfolglos ihr Glück.
So gibt es in ihrem Werk schon wiederkehrende Elemente wie die durch mehrere LPs geisternde Figur des „Johnny“.

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Die Inhalte wiederum untermauern meine These, dass gute Song-Texte eine eigene literarische Kategorie wert wären. Nicht unbedingt als Geschichten- oder Lyrik-Ersatz, sondern als eigenständige, von Verknappung, Zuspitzung und Wiederholung geprägte Form. Es ist kein Wunder, dass Texte in Poetry-Slams gerne einmal jenen von Songs ähneln.

Die besten Popalben 2025 international

1. Richard Dawson: End Of The Middle (UK) 
2. Black Country New Road: Forever Howlong (UK) 
3. Clipping.: Dead Channel Sky (USA)
4. Panda Bear: Sinister Grift (USA) 
5. These New Puritans: Crooked Wing (UK) 
6. Jimi Tenor Band: Selenites, Selenites! (Fin) 
7. Frankie Cosmos: Different Talking (USA)
8. Beirut: A Study Of Losses (USA) 
9. The Divine Comedy: Rainy Sunday Afternoon (UK) 
10. Austra: Chin Up Buttercup (Can) 

Die besten österreichischen Popalben 2025

1. Love God Chaos: Augendisko
2. Das Schottische Prinzip: Golden Voyager Record Vol. III
3. Kreisky: Adieu Unsterblichkeit 
4. Clara Luzia & The Quiet Version: Horelia 
5. Parc de Triomphe: Parc de Triomphe
5. Low Life Rich Kids: Lieblingslieder 
5. Sophie Blenda: Die Summe der Vereinzelung

 

 

Was er zu sagen hat, sagt er im Regelfall eher nicht durch die Blume, dafür mit beispielloser Grandezza: Richard Dawson (© Sally Pilkington)

Das ganz große Ding gab´s wohl nicht, trotzdem war es ein (sehr) gutes Jahr. Wie immer machen in so einem Bedingungsgefüge große Individualisten das Rennen.