Authentizität auf andere Weise
Endlich: Das französisch-amerikanische Brüderpaar Faux Real kam für einen seiner spektakulären Auftritte nach Wien und erzählte vorab einiges über seine künstlerische Sozialisation, Präsentation und die Benefits des Gehens.
Viel Interesse hat dieses Jahr „Faux Ever“, das LP-Debüt des französisch-amerikanischen Duos Faux Real, auch in (Teilen) dieser Redaktion hervorgerufen. Weil indes die kolportierten Lebensgeschichten wie auch die atemberaubend choreografierten Performances der in Paris geborenen, seit drei Jahren in L.A. lebhaften Brüder Virgile und Elliott Arndt einige Fragen offen gelassen haben, haben wir um ein klärendes Gespräch angesucht.
Als die Arndts nun als Tour-Support des Quartetts Los Bitchos ins Wiener WUK kamen, ergab sich die Gelegenheit dazu. Die Unterredung fand in der Garderobe des WUK statt. Von dort oben hat man übrigens einen tollen Blick auf die imposante Anlage des Kulturzentrums, der auch die Arndt-Brüder immens beeindruckte.
Als die zwei dann später die Bühne betraten, fanden sie zunächst eine bemitleidenswert schütterte Menge vor. Der Saal füllte sich aber schneller, als man schauen konnte. Spätestens nach dem zweiten Song kochte die Stimmung.
Da bei Faux-Real-Konzerten außer einer Flöte, die zwischen ihren zwei Einsätzen im nicht auf der LP enthaltenen Song „Boss Sweet“ in Elliotts Hosenbund verschwindet, keine Instrumente Dienst versehen müssen, verließen Virgile und Elliott so oft es ging ihren Arbeitsplatz und performten mit nackten Oberkörpern und zweckmäßig weit geschnittener Beinkleidung mitten im Publikum.
Und da bei Faux Real die Texte zwar keineswegs trivial, aber sicher nicht der Fokus der Aufmerksamkeit sind, und die ebenfalls sehr gut aufgelegten vier Damen und ihr männlicher Erfüllungsgehilfe von Los Bitchos außer vereinzelten „Hey!“, „Hi!“ und ähnlichen Stimmungsmachern wortlos (wenn auch mit vier Mikrophonen) agieren, war dies kein Abend der tiefsinnigen Botschaften. Sondern einer im Zeichen von Spektakel und Spaß.
Das Interview
extra-music: In einem Interview werdet ihr mit der Aussage zitiert, eure Eltern hätten es eine faszinierende Idee gefunden, euch mit unterschiedlichen Sprachen aufwachsen zu lassen. (Gelächter) Ist das wahr?
Elliott: Manchmal sagen wir, wir sind halb französisch, halb amerikanisch. Und Leute, die nicht wissen, dass wir Brüder sind, denken dann, einer von ist Franzose, einer Amerikaner. Nein, wir sind im selben Haushalt aufgewachsen, mit denselben Sprachen. Wir sind in Paris geboren, in Frankreich und Luxemburg aufgewachsen.
Virgile: Meine Zwanziger habe ich in Paris verbracht, er seine in London.
e-m: Wie reagieren amerikanische Hörer auf das frankophile Element in eurer Präsentation und in den Texten?
Elliott: Amerika hat schon lange eine gewisse Faszination für Frankreich. Immer schon gehabt.
Virgile: Ich denke, die französischen Spracheinsprengsel sind sehr verstreut auf der Platte und damit gut verdaulich für englischsprachige Hörer. Für Leute, die beide Sprache verstehen, mag es die Hörerfahrung erweitern, aber es funktioniert auch, wenn du nur eine der beiden Sprachen verstehst. Glauben wir jedenfalls.
e-m: Kommen die Einflüsse für euren Stage-Act ausschließlich aus dem Bereich der Pop-Musik, oder auch aus anderen Quellen?
Elliott: Da gibt es definitiv zahlreiche Einflüsse, die nicht aus der Musik, sondern aus dem darstellenden Bereich kommen. Viele kommen aus dem Theater, aber auch von Set Design, Design ganz generell, aus der Mode, aus bildlichen Darstellungen. Unsere Eltern haben uns, als wir heranwuchsen, oft in experimentelle Theateraufführungen mitgenommen. Das hat in unsere Performances Eingang gefunden.
Virgile: Das hat uns definitiv traumatisiert!
Elliott: Auf bestmögliche Weise!
Virgile: Eine Aufführung hat bei uns – wir waren Kinder – besonderen Eindruck hinterlassen: Da wurde irgendwo in Frankreich auf einem Parkplatz ein Peplum (Gladiatoren- und Sandalenstück, Anm.) aufgeführt. Am Ende wurde ein Konzertflügel von einem Katapult durch die Luft geschleudert. Wie das Klavier auf dem Parkplatz in Millionen Teile explodierte, diese unglaublichen Geräusche dabei, das vergessen wir nie.
Elliott: Wir haben Teile des Klaviers mitgenommen und jahrelang zu Hause am Dachboden aufbewahrt.
Virgile: Als Reliquien.
Impact durch Performer und Theater
e-m: Anzunehmen ist wohl, dass euch auch exaltierte Pop-Performer beeindruckt haben.
Elliott: Ich glaube, Performances haben bei uns, als wir aufwuchsen, mehr Eindruck hinterlassen als Pop-Musik an sich. Wir haben uns extremen, rauen Performern von Marina Abramović bis Iggy Pop ausgesetzt und das war zum einen ein starker Einfluss auf uns. Das Theater wiederum gewährte uns einen Einblick, was eine Kulisse und eine Show kann.
Virgile: Wir sehen die Bühne mehr wie eine Leinwand oder einen Rahmen als nur wie eine Bühne.
e-m: Ihr macht auf dieser Tour Support für Los Bitchos.
Elliott: Wir sind alte Freunde von Los Bitchos. Und wir kommen sehr gut miteinander aus.
e-m: Obwohl ihr musikalisch recht unterschiedlich seid.
Virgile: Ja, musikalisch sind wir unterschiedlich, aber das Publikum reagiert sehr gut auf uns beide, weil sie bestimmte Dinge sowohl bei Los Bitchos wie auch in unseren Shows finden – da gibt es definitiv ein paar Gemeinsamkeiten. Es ist ja lustig: Wir sind auf der Bühne zwei Männer ohne Instrumente, nur mit Gesang. Sie sind vier Frauen nur mit Instrumenten und praktisch ohne Gesang.
Was ist Anti-Rock?
e-m: Eure Musik wird bisweilen als „Anti-Rock“ gelabelt. Was würdet ihr davon halten, wenn ich sie als Rock ohne laute Gitarren bezeichne?
Virgile: Mhm. Rock ’n‘ Roll ohne Band? Auch möglich. Anti-Rock meinte, da ist Rock ’n‘ Roll drinnen, aber es fehlen ein paar entscheidende Elemente, damit es wirklich traditioneller Rock ’n‘ Roll ist.
Elliott: Und auch, sich gegen bestimmte Elemente von Rockmusik zu stellen, mit denen wir nie einverstanden waren – und nie sein werden.
e-m: Dieses Authentizitäts-Ding vielleicht? Eine der charakteristischen Textzeilen auf eurer Platte lautet ja: „I don’t want the truth, I want the story“.
Elliott: Gewiss ist Authentizität ein großes Thema auf der Platte, speziell für eine Band, die sich Faux Real nennt. Wir dekonstruieren eine Menge Dinge – auch solche, die man in der Pop-Kultur als selbstverständlich ansieht. Und ich denke, Rockmusik ist eines dieser geschützten Reservate. Es ist so codifiziert, so fehlerhaft und wird von einer Art Mafia geschützt. Ich glaube, das ist bei einer Menge Musik der Fall.
Virgile: Faux Real war immer ein Versuch, Authentizität auf andere Weise zu vermitteln: Ehrlich zu sein, aber nicht in direkter Form. Ich meine, wir nehmen unsere Musik sehr ernst, und wir haben viel Zeit, Aufwand und Arbeit in diese Platte gesteckt, aber das heißt nicht, dass nicht auch einmal ein Scherz möglich ist und eine gewisse Leichtigkeit eingebracht werden kann.
e-m: Glaubt ihr, dass dieser Zugang eurem Publikum verständlich ist? Denn was Rockmusik meiner Meinung nach korrumpiert, ist die Erwartungshaltung des Publikums, das immer das Gleiche will, eine bestimmte Art von Show, eine bestimmte Art von Auftreten…
Virgile: .. eine Formel. Ich gebe nicht vor, ein Experte in Sachen Rockmusik zu sein.
e-m: Die Frage war ja, ob Leute eure Art der Präsentation akzeptieren.
Virgile: Manche Leute kommen nach einer Show zu uns, um uns zu sagen, dass sie sowas noch nie gesehen haben: „Ich war wirklich bewegt, aber ich habe auch gelacht, ich habe getanzt!“ Das ist für mich die höchste Form von Lob, die es geben kann.
e-m: Sind das viele Leute?
Virgile: Das werden wir herausfinden. Im Moment spielt das keine Rolle. Was wirklich zählt ist, dass wir etwas tun, das sich wahrhaftig für uns anfühlt. Ich will nicht zu metaphysisch klingen, aber in der Kunst ist es generell so: Je purer etwas aus der Quelle fließt, desto leichter ist es für Menschen, darauf Zugriff zu bekommen. Ich denke, was wir mit dieser Platte erreicht haben, war, tiefer und tiefer dorthin zu gehen, wo wir herausfinden, was Faux Real für uns bedeutet.
Mehrere Wirkungsebenen
e-m: Englischsprechende können den Namen Faux Real leicht als For Real (miss-)verstehen – genau das Gegenteil von dem, was er bedeutet.
Elliott: Ja. Das ist genau, warum wir den Namen gleich so mochten. Da ist Mehrdeutigkeit drinnen, er sieht in geschriebener Form gut aus, selbst wenn du nicht weiß, was er bedeutet, ist es immer noch ein cooler Name: und uns gibt er viele Möglichkeiten, damit herumzujonglieren. Auf sehr simple Weise repräsentiert er auch die sprachliche Dualität – und die Dualität der Bruderschaft.
Virgile: Die Präsentation und der Name wirken auf einer oberflächlichen Ebene: Diese Typen stehen auf der Bühne, halbnackt, schlagen sich in die Brust, und es ist irgendwie Glam oder sowas Ähnliches. Man kann aber auch tiefer graben, sich mit den Texten auseinandersetzen, andere Bedeutungsebenen finden. Jeder kann daraus etwas anderes herausnehmen.
e-m: Wie werden die Songs geschrieben?
Virgile: Zumeist zusammen.
e-m: Es gibt keine Trennung, etwa dass einer für die Musik und der andere für den Text zuständig ist?
Elliott: Die Texte entstehen gemeinsam. Bei der Musik kann es sein, dass er ein paar Akkorde findet, während ich ein wenig produziere. Finalisieren tun wir das Ganze zusammen.
e-m: Wie hoch ist bei Platten euer instrumentaler Beitrag?
Virgile: Die Musik wird komplett von uns selbst eingespielt.
e-m: Gitarren, Bässe, Synthis, Drums, sofern welche zum Einsatz kommen – alles selbst gespielt?
Virgile: Alles selbst gespielt.
Elliott: Viele Drums sind programmiert, dasselbe gilt für Percussion. Was wir nicht selbst spielen könnten, wird elektronisch gemacht.
Virgile: Vieles entsteht mit uns zwei in einem Raum: ich an der Gitarre, er am Piano oder an den Drums.
e-m: Also eigentlich sehr traditionelles Songwriting.
Virgile: Da sind Momente sehr traditionellen Songwritings und Momente von komplett untraditionellem Songwriting, wo wir Sounds und Beats extrahieren und in einen Song verwandeln – das hängt von Fall zu Fall ab.
Miles Davis, Nietzsche und die Philosophie des Gehens
e-m: Bezieht sich der Titel „Sketches Of Pain“ auf Miles Davis‘ Album „Sketches Of Spain“?
Beide: Ja!
Virgile: Wenn du die zweite Strophe anhörst…
Elliott: … da ist ein Zitat …
Virgile: … da ist eine Trompete im Hintergrund. Sie ist manipuliert, aber das ist Miles Davis.
Elliott: „Sketches Of Spain“ hat einen warmen Platz in unseren Herzen, wir haben es oft angehört. Eine Tages kam Virgil mitten in einer Session mit der Idee des Titels „Sketches Of Pain“ über eine zerrüttete Beziehung.
Virgile (zitiert:) „If I burned my hand / you’d side with the fire / And if you saw me drown / you’d side with the water“. Nachdem wir das zusammen mit unserem Freund Mosss geschrieben hatten – eines der wenigen Male, wo wir mit anderen zusammenarbeiteten -, bemerkten wir, dass es auch von Tears For Fears einen Song mit dem Titel „Sketches Of Pain“ gibt. Ein sehr guter Song. Aber sehr anders.
Elliott: Iberischer, näher an der Inspirationsquelle für Miles Davis angelegt.
e-m: Welche Dämonen sind in „Walking Away From My Demons“ gemeint?
Virgile: Welche Dämonen auch immer die Person, die das anhört, heimsuchen.
Elliott: Grundsätzlich ist es eine Hymne an die Selbstermächtigung.
Virgile: Das ist es am Ende geworden. Es war ursprünglich aber ein Song über das Gehen.
Elliott: Es war ein fuck you! gegen die neuen Technologien der Mobilität, alle diese Scooter, Hoverboards. Es war zunächst eine Art Witz.
Virgile: Ich glaube, es war Nietzsche, der sagte, vertraue niemals einer Idee, die dir nicht beim Gehen gekommen ist. Eine Menge Philosophen glaubten ans Gehen und hielten es für die geeignete Form, den Kopf freizubekommen und zu neuen Ideen zu gelangen. Und wir entwickelten daraus die Idee, dass das ultimative Benefit, das du durch Gehen erreichen kannst, ist, die schlechten Dinge in deinem Leben hinter dir zu lassen. War sehr interessant, sowas zu schreiben.
e-m: Faszinierend vor allem bei Menschen, die in L.A. leben (Gelächter).
Elliott: Wir lebten noch nicht dort, als wir das schrieben. Wir sind übrigens noch immer große Proponenten des Gehens. Wir wandern gern, es hat eine meditative Qualität.
e-m: Eine letzte Was-bedeutet-das-Stück-Frage: „Scratch“.
Elliott: Das war eines der letzten Stücke, die wir für diese Platte schrieben. Es war uns sofort klar, dass das an deren Ende gehörte. Denn es bringt auf den Punkt, worum es bei Faux Real geht: um den ganzen Komplex, um Authentizität, Fake und Faktizität auf den Grund zu gehen.
Virgile: Fast eine Art Manifest.
„Die Präsentation und der Name wirken auf einer oberflächlichen Ebene: Es ist irgendwie Glam oder sowas Ähnliches. Man kann aber auch tiefer graben, andere Bedeutungsebenen finden. Jeder kann daraus etwas anderes herausnehmen.“