Das Schöngeistige in dunklen Ecken

2025 stand im Zeichen von Außenseiter-Pop mit schrägem Charme und von Noise mit Pop-Appeal – eine persönliche Bilanz (Folge 1).

Von
17. Dezember 2025

Album des Jahres: "In Love Again" von Ex-Vöid (Tapete Records)

Popmusik besteht seit geraumer Zeit selbstredend vor allem aus Wiederholungen und Abwandlungen. Nicht nur Musik, die sich dezidiert auf Retro-Trends fokussiert, sondern das meiste, was Jahr für Jahr veröffentlicht wird, klingt so, als hätte man es schon einmal (oder auch öfter) gehört. Wobei es nicht unwesentlich vom Alter abhängt, welche Assoziationen und Verweisgrößen sich dem Zuhörer aufdrängen.
Umso erstaunlicher, dass einem trotz alledem am Ende des Jahres bei der Erstellung der üblichen Bilanzen auffällt, wie viele großartige Alben und bemerkenswerte Produktionen das Popmusikjahr dann doch wieder abgeworfen hat. Auch wenn die ganz großen Sensationen ausblieben und die Nischenbildung es einem immer schwerer macht, den Überblick zu behalten – so gab es für mich doch auch heuer  mehr als genug Dopamin freisetzende Lieblingsalben, national wie international.

Eklektische Wiedergänger

Das Schöngeistige in dunklen Ecken zu suchen (und zu finden) und sich künstlerisch mit den Gespenstern in seinem Inneren auseinanderzusetzen – diese genuine Kunst beherrschen nur wenige. Jenn Wasner mit ihrem Soloprojekt Flock Of Dimes, die US-Amerikanerin Melissa Lingo unter dem Künstler-Pseudonym Meka und Adrianne Lenker mit ihrer Band Big Thief – ihnen gelang das in diesem Jahr besonders stimmungsvoll und dringlich.

Die US-Band Night Moves überzeugte in der Sparte „Eklektische Wiedergänger“ mit unbändiger Lust am Zitieren und Zelebrieren und kam mit einigen ihrer Songs dem perfekten Westcoast-Pop sehr nahe. Die US-Musikerin Lael Neale veredelte auf „Altogether Stranger“ ihre ganz genuine Handschrift aus Außenseiter-Pop, schrägem Charme, hippiesker Anmutung, eigenwilliger Instrumentierung (Mellotron und Omnichord!) und dem Gespür für eingängige Popmelodien.

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Dass sich Noise und Pop-Appeal, lärmende Gitarren und Melodieseligkeit, Shoegaze und lässige Hooks klug verknüpfen lassen, bewiesen in diesem Jahr Wednesday, Car Seat Headrest und Ex-Vöid. Vor allem letztere britische Band beweist auf ihrem Album „In Love Again“, meinem absoluten Favoriten 2025, dass sich strukturierter Lärm und einnehmender Schönklang, Krawall und Melodieseligkeit nicht ausschließen müssen. Das Quartett hat die Independent Music der vergangenen Jahrzehnte aufgesaugt, daher klingen Ex-Vöid wie eine Schnittmenge aus Sugar, The Stooges, The Wedding Present und den Primitives. Die Zusammenführung von Extreme Noise und Pop ist – um eine weitere Referenzgröße zu nennen – seit der Glanzzeit von The Jesus & Mary Chain wohl keiner Band so gut gelungen, wie diesem inspirierten Quartett aus Großbritannien.

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Heimische „Supergroup“

National war der Ausstoß an interessanten und substanziellen Alben in diesem Jahr so groß und dicht, wie schon lange nicht (mehr). Trotzdem finden sehr gelungene Produktionen wie jene von Kreisky, Pauls Jets, Naked Lunch oder dem Nino aus Wien – um nur die prominentesten anzuführen – keinen Platz auf meiner Bestenliste. Angeführt wird diese vielmehr von der „Supergroup“ Alles Exhausted – bestehend aus Mitgliedern von Culk, Pauls Jets, Jansky und den Fuzzybrains –, die auf ihrem Debütalbum wuchtige Shoegaze-Klänge auf Dreampop prallen lässt und mit diesem Sound eine Dringlichkeit generiert, die Ihresgleichen sucht.

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Anna Mabo besticht auf ihrem Album „Mittelschwere Ekstase“ hingegen mit gewitzter Sprachkunst und Songs, die die Vielfalt ihres Songwritings abbilden und es an Pop-Appeal nicht mangeln lassen. In der Sparte „traditioneller Gitarrensound“ mit zeitgenössischem Antlitz haben die Laundromat Chicks und Paloma 004 bei mir die Nase vorn. Daumen hoch auch für das Albumdebüt eines Tiroler Brüderpaars: Coffee Time überzeugen auf „Wild Birds“ mit subtilen Folksongs über große Gefühle und kleine Glücksmomente.

Großartige Live-Momente

Das Konzertjahr hatte für mich zwei großartige Momente zu bieten: Bob Mould (im Trio) in der Berliner Columbiahalle und die Mekons im Wiener Chelsea. Live wie mit ihren aktuellen Alben zeigten Bob Mould, Jason Narducy und Jon Wurster – sowie auf Seiten der Mekons Jon Langford und Sally Timms –, dass sie (allesamt in Würde gealtert) nach wie vor Garanten für unbändige Energie, fröhliche Renitenz und mitreißende Musik sind.

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Die besten Popalben 2025 international

1. Ex-Vöid: In Love Again (UK)
2. Wednesday: Bleeds (US)
3. Lael Neale: Altogether Stranger (US)
4. Big Thief: Double Infinity (US)
5. Car Seat Headrest: The Scholars (US)
6. The Mekons: Horror (UK)
7. Bob Mould: Here We Go Crazy (US)
8. Night Moves: Double Life (US)
9. Meka: The Rabbit (US)
10. Flock Of Dimes: The Life You Safe (US)

Die besten österreichischen Popalben 2025

1. Alles Exhausted: Alles Exhausted!
2. Anna Mabo: Mittelschwere Ekstase
3. Laundromat Chicks: Sometimes Possessed
4. Paloma 004: Alles fängt neu an
5. Coffee Time: Wild Birds

Album des Jahres: "In Love Again" von Ex-Vöid (Tapete Records)

Die Zusammenführung von Extreme Noise und Pop ist seit der Glanzzeit von The Jesus & Mary Chain wohl keiner Band so gut gelungen wie Ex-Vöid, dem inspirierten Quartett aus Großbritannien.