Verfeinerung und Weiterentwicklung

2024 war das Jahr der musikalischen Dauerbrenner, Wiederkehrer und ewig jungen Helden – eine persönliche Bilanz (Folge 1).

Von
21. Dezember 2024

Album des Jahres: Adrianne Lenkers "Bright Future" (4AD / Beggars / Indigo)

Wenn man sich als – zumindest geistig – jung gebliebener Sechziger noch immer leidenschaftlich mit Pop-und Rockmusik beschäftigt, kommt hin und wieder das Gefühl auf, jetzt aber wirklich alles schon einmal gehört zu haben. Bis einem bewusst wird, dass das Interessante und Hörenswerte immer schon ein Ohr in die Vergangenheit gerichtet hatte, ohne auf den neugierigen Blick nach vorne zu vergessen. In wem diese Erkenntnis einmal gereift ist, dem fällt es leichter, nicht verkrampft nach dem Neuen, Innovativen und Subversiven suchen zu müssen. Man erfreut sich an der virtuosen und gekonnten Abwandlung und Weiterentwicklung von bekannten Genres und Stilrichtungen.

2024 war das Jahr der musikalischen Dauerbrenner, Wiederkehrer und ewig jungen Helden – Nick Cave, Steve Wynn, John Cale, Beth Gibbons, Kim Deal, The Cure, Sleater-Kinney, Kim Gordon, Laurie Anderson, Peter Perrett –, aber auch ein feminines Popjahr mit großartigen Alben von u.a. Adrianne Lenker, Nilüfer Yanya, Faye Webster, Laura Marling, Crace Cummings, Vera Sola, King Hannah, Porridge Radio, Cassandra Jenkins, Billie Eilish, St. Vincent.

Lange Verweildauer statt kurzer Euphorie

In einer Zeit, in der viele nur noch einzelne Songs hören statt ganze Alben, somit der kurzen Euphorie mehr Gewicht beimessen als der längeren Verweildauer oder dem Sich-Zeit-Nehmen und Eintauchen in ein musikalisches Gesamtwerk, ragen Alben wie jene von Adrianne Lenker („Bright Future“) und Bill Ryder-Jones („Iechyd Da“) besonders hervor. Wie allen begabten Musiker(innen) gelingt es ihnen, Genres und Stile zu variieren, weiterzuentwickeln und auf diese Weise stilvoll-zeitlose Kunst zu (er)schaffen.

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Die Band La Luz rund um Frontfrau Shana Cleveland überzeugte mit dem gelungensten eklektizistischen Album des Jahres („News Of The Universe“): einer fein austarierten Mischung aus Indiepop, Dreampop, Surfpop, Hippie-Sixties-Rock und Psychedelic, mit empathisch-fantasievollen Geschichten und eingängig-mitreißenden Melodien. Ebenso toll fand ich „Manning Fireworks“ von MJ Lenderman, dessen Riffs, Melodien und Texte zugleich an die Replacements, Pavement und Neil Young erinnern, ohne jemals nach einer billigen Kopie zu klingen. Die Idles überzeugten mit „Tangk“ wiederum auf dem Spielfeld „musikalisches Rabaukentum mit Spaß am Krawall“. Im Sinne der Verfeinerung und Erweiterung des Klangspektrums ergänzten sie ihren Rockentwurf mit Mut zum Experiment und dem Bekenntnis zu mehr Pop-Appeal.

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National war 2024 das Jahr der kleinen und unabhängigen Plattenlabels wie Siluh Records, Numavi Records, Konkord Records und Pumpkin Records, die für zahlreiche bemerkenswerte Veröffentlichungen sorgten: Ischia, Gardens, Laundromat Chicks, Potato Beach, Oxyjane, The Base, Johnny Batard und Ratrock Tot Sint Jans, um nur einige zu nennen. Pop in Großbuchstaben geschrieben – dafür steht das Debütalbum des österreichischen Quartetts Gardens: „Flaws“ schafft eine feine und wohlklingende Balance zwischen Dynamik, Komplexität, Emotionalität und Eingängigkeit.

Konzerterlebnisse als Lebenselixier

Kunst in Großbuchstaben geschrieben – dafür steht Anja Plaschg aka Soap & Skin. Die enigmatische Musikerin drückt auf ihrem nur aus Coverversionen bestehenden Album „Torso“ dem Songmaterial von u.a. David Bowie, Tom Waits, Lou Reed, Jim Morrison und Lana Del Rey mit ihrer unvergleichlichen Stimme und Präsenz ihren ganz persönlichen Stempel auf.

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Live-Atmosphäre zu inhalieren und die Schönheit von persönlichen Begegnungen zu zelebrieren, gehört auch zu einem gelungenen Musikjahr. Diesbezüglich bleiben das „Lido Sounds“ in Linz (mit Soap & Skin, Idles und den Libertines mit einem gut gelaunten Pete Doherty), die überzeugende Patti Smith bei Vollmond in der Metastadt in Wien, Robert Stadlober und die Sterne beim „Fuzzstock“ auf der Petzen in Kärnten, die würdig gealterten Einstürzenden Neubauten am Open-Air-Areal der Wiener Arena, Kids With Buns und Vera Sola beim „Autumn Leaves“ im Grazer Orpheum (Extra) – und The KVB, Arab Strap und The Notwist beim „Desert Shore“ im Wiener Volkstheater in bester Erinnerung. Und – dank ausgelassener Spielfreude, kraftvoller Energie und Underground-Atmosphäre – auch Marta im Grazer Music House, einer Keller-Location. Ein Konzerterlebnis als Lebenselixier.

Die besten Popalben 2024 international:

1. Adrianne Lenker: Bright Future (US)
2. Bill Ryder-Jones: Iechyd Da (UK)
3. La Luz: News Of The Universe (US)
4. Beth Gibbons: Lives Outgrown (UK)
5. MJ Lenderman: Manning Fireworks (US)
6. Idles: Tangk (UK)
7. Kim Deal: Nobody Loves You More (US)
8. Peter Perrett: The Cleansing (UK)
9. Nilüfer Yanya: My Method Actor (UK)
10. Bright Eyes: Five Dice, All Threes (US)

Die besten österreichischen Popalben 2024:

1. Soap & Skin: Torso
2. Gardens: Flaws
3. Ja, Panik: Don´t Play With The Rich Kids

Album des Jahres: Adrianne Lenkers "Bright Future" (4AD / Beggars / Indigo)

Das Interessante und Hörenswerte hatte immer schon ein Ohr in die Vergangenheit gerichtet, ohne auf den neugierigen Blick nach vorne zu vergessen